INTERVIEW: »Stundenerhöhung erhält bildungspolitische Mauer«
■ Ex-Schulsenatorin Sybille Volkholz (Bündnis 90/ Grüne) über die geplante Arbeitszeitverlängerung für Lehrer
taz: Frau Volkholz, Sie unterstützen den Streik der Lehrer. Streiken Sie heute solidarisch mit?
Sybille Volkholz: Soll ich aus Protest das Volk einen Tag nicht vertreten? Nein, ich werde natürlich alles dafür tun, daß die Forderungen der Lehrer noch einmal im Hauptausschuß vertreten werden.
Sie sind nach wie vor gegen die Arbeitszeitverlängerung. Wie sollen denn ihrer Meinung nach 1.500 Stellen eingespart werden?
Das geht ganz einfach. Die 800 Stellen, die im Haushalt 1992 gespart werden sollen, sind im Ostteil der Stadt bereits jetzt frei. Das heißt, sie könnten schlichtweg entfallen. Weitere 700 Stellen könnten eingespart werden, wenn die Lehrer aus dem Überhang im Ostteil bedarfsdeckend in ganz Berlin, also auch im Westteil eingesetzt würden.
Welche Voraussetzungen wären hierfür notwendig?
Der Senat müßte die Lehrbefähigung der Diplomlehrer aus dem Ostteil mit einem oder zwei Fächern anerkennen, also die Diplome der ehemaligen DDR. Die Lehrer haben dort ein vergleichbares Hochschulstudium absolviert. Es ist Quatsch, Lehrer unterbeschäftigt im Ostteil der Stadt herumlaufen zu lassen und statt dessen die Pflichtstunden zu erhöhen.
Schulsenator Klemann möchte die Lehrer aber lieber erst einmal weiterbilden.
Die Weiterbildungskapazitäten sind in dem Maße, wie der Senat sich das vorstellt, an den Universitäten ohnehin nicht vorhanden. Es ist sinnvoller, die Lehrer dort einzusetzen, wo die Schülerzahlen steigen. Klemanns Beschluß, dies nicht zu tun, hat bildungspolitisch fatale Auswirkungen.
Warum denn das?
Weil er dazu führt, daß der Lehrbedarf durch die Pflichtstundenerhöhung der Lehrer abgedeckt wird.
Das ist ja auch der Sinn der Sache...
Das hält aber den Lehrerüberhang im Ostteil künstlich aufrecht. Meiner Meinung nach ist das bildungspolitisch die Aufrechterhaltung der Mauer in dieser Stadt und absolut unsinnig. Das Zusammenwachsen der Schulen ist nur gesichert, wenn die Kollegien gemischt werden. Ich bin auch nicht dafür, Lehrkräfte in Watte zu packen. Sie lernen erheblich mehr, wenn sie sich mit anderen Schülern, Lehrkräften und Eltern auseinandersetzen müssen — und zwar auch im anderen Teil der Stadt.
Was sagen Sie zu der Stundentafelkürzung?
Prinzipiell halte ich sie nicht für unannehmbar. Für alle Klassen über der vierten hätte man sich allerdings länger beraten müssen. Auch würde ich die Unterrichtszeit, die verringert wird, durch eine Betreuungszeit auffangen. Dafür könnten allerdings auch Erzieher als Honorarkräfte herangezogen werden. Interview: Jeannette Goddar
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