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INTERVIEWAusländerrecht begünstigt Menschenhandel

■ Die Duisburger Anwältin Sabine Weiss-Uliczka zu den rechtlichen Problemen im Essener Menschenhandelsprozeß

taz: Im Vorfeld des Essener Prozesses wurden die philippinischen Zeuginnen nicht darauf hingewiesen, daß sie nach deutschem Recht als Nebenklägerinnen auftreten können und damit gleichzeitig Anspruch auf einen Rechtsbeistand haben. Sie fordern für die Zeuginnen eine Nebenklagevertretung. Warum ist das so wichtig?

Sabine Weiss-Uliczka: Ein Rechtsbeistand ist vor allem in solchen Prozessen wichtig, wo die Befragung von Zeuginnen bis in die Intimsphäre hineinreicht. Im Prozeß erhalten die Filipinas keinerlei kompetente Unterstützung. Sie sitzen dort und sind umgeben von Feindesland. Es gehört zur Verteidigung, Zeuginnen unglaubwürdig zu machen. Ein Nebenklagevertreter kann da einwirken, er kann sagen: „Stop, so geht's nicht, Sie setzen meine Mandantin unter Druck.“ Er kann an den richtigen Punkten einhaken und nachfragen. Ich bin ganz sicher: Wenn Nebenklagevertretungen in Menschenhandelsprozessen zur Gewohnheit werden, wird es auch mehr Verurteilungen geben.

Beim Vorwurf des Menschenhandels spielt der Begriff des Zwangs eine wichtige Rolle. Was ist juristisch gesehen Zwang? Reicht es, wenn Frauen sagen: Ich hatte Angst?

Angst ist ein subjektiver Begriff. Ein Gericht wird immer die objektiven Umstände überprüfen. Das heißt, im Gerichtssaal wird die Frage gestellt: Hat die Frau wirklich das Recht gehabt, Angst zu haben, oder ist ihre Angst subjektiv übertrieben? Nach geltendem Recht wäre es auch im Essener Prozeß für die Zeuginnen besser gewesen, wenn Gewaltanwendung festgestellt worden wäre.

Eine andere Frage, auf die deutsche Gerichte überhaupt nicht eingehen, lautet: Wie lang ist der Arm des Menschenhändlers? Eine Zeugin muß jetzt schon damit rechnen, daß auf die Familie im Heimatland Druck ausgeübt wird. Was passiert also mit ihr, wenn sie zurückkommt? Wenn der Arm des Menschenhändlers bis auf die Philippinen reicht, wird sie wahrscheinlich am Flughafen schon abgeholt und hat keine Chance, aus dem Teufelskreis der Prostitution herauszukommen.

Kann also gesagt werden, das Ausländerrecht in Deutschland begünstigt Menschenhandel?

Natürlich. Allein dadurch, daß es das legale Druckmittel der Illegalität gibt, das jeder Menschenhändler ausnutzt, um die Frauen bei der Stange zu halten. Zu sagen: „Wenn du nicht lieb bist, sage ich dem Ausländeramt, daß du hier bist, dann wirst du ausgewiesen“, ist ein völlig rechtmäßiges Verhalten. Menschenhändler brauchen bei uns ja gar keine Gewalt anzuwenden, die haben es richtig leicht. Wenn mich eine potentielle Zeugin um Rat fragen würde, die eh abgeschoben wird, sähe ich es natürlich gerne, daß sie aussagt, um einen Menschenhändler hinter Schloß und Riegel zu bringen. Aber vom Menschlichen her gesehen, würde ich ihr abraten. Interview: Diemut Roether

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