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INTERVIEW„Ohne Neuwahlen kommt eine große Koalition nicht in Frage“

■ Karlheinz Blessing, Bundesgeschäftsführer der SPD, zum sich wandelnden Verhältnis zwischen SPD und Regierung und zur Änderung des Asylrechts

taz: Herr Blessing, Ihr Parteichef Björn Engholm hat am Wochenende gesagt, daß er für unverbindliche Gespräche mit Kanzler Kohl nicht zur Verfügung stehe. Jetzt haben Sie mit Kanzleramtsminister Friedrich Bohl für den 27. Mai ein Spitzentreffen vereinbart. Wie verbindlich wird es dabei zugehen? Was wollen Sie mitentscheiden?

Karlheinz Blessing: Ich erwarte mir seitens der Bundesregierung zunächst einmal eine klare Beschreibung der finanziellen Situation und konkrete Vorschläge, wie sie die Finanzlücke schließen will. Danach werden wir auch unsere Positionen beschreiben.

Heißt das, daß Ihnen der oft geforderte „Kassensturz“ jetzt verbindlich zugesagt worden ist?

Ich will mich hier nicht über Begriffe streiten. Die Regierung spricht vom „Finanzstatus“. Wichtig ist, daß man Daten und Fakten hat und daß endlich klar gesagt wird, was die Regierung wie finanzieren will. Darüber hinaus soll sie uns sagen, wie sie die 2,5 Millionen fehlenden Wohnungen beschaffen und die Pflegeversicherung endlich auf den Weg bringen will. Unsere Vorschläge liegen hier seit langem auf dem Tisch.

Hat Bohl Ihnen zugesichert, daß diese Fragen vor dem Gespräch beantwortet werden?

Mir ist gesagt worden, daß ich die Konzepte der anderen Seite in diesen Tagen bekomme.

Welchen Sinn macht das Spitzengespräch für die SPD?

Die SPD hat ein Interesse daran, daß es auf den Politikfeldern, die diese Republik bewegen, schnell vorangeht. Wir machen ja seit 1990 kontinuierlich Vorschläge, wie man die deutsche Einheit solidarisch gestalten und finanzieren kann. Jetzt ist die Bundesregierung endlich soweit, die Hosen herunterzulassen, und darüber wollen wir mit ihr reden.

Das Reden allein bringt ja nichts. Wo wollen Sie denn mittun?

Es kann ja sein, daß sich bei diesem Gespräch herausstellt, daß man bei dem einen oder anderen Punkt im Interesse der Sache weiterkommen kann. Dann wird man im Bundestag oder Bundesrat in Einzelfällen möglicherweise zu einem rascheren Handeln gelangen.

Ihr Genosse, der niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder, hat gesagt, das Gequatsche von Zusammenarbeit und Rundem Tisch müsse jetzt endlich aufhören. Die Partei müsse sich entscheiden. Entweder Opposition oder Teilhabe an der Macht. Wenn Teilhabe, dann aber auch richtig, dann in einer großen Koalition. Was ist denn das, was Sie jetzt vereinbart haben? Ist das die Fortführung des „Gequatsches“?

Nein, ich bin auch gegen Gequatsche, allerdings auch gegen eine Verweigerungshaltung. Ich bin dafür, im Interesse einer sachgerechten Problemlösung einen Konsens zu suchen, um dann gegebenenfalls zu einer gemeinsamen Handlung zu kommen. Wenn dies nicht möglich ist, dann wissen wir, woran wir sind.

Der Chor der SPD-Spitzenpolitiker zeichnet sich — wie gewohnt — durch eine verwirrende Vielstimmigkeit aus. Der parlamentarische Geschäftsführer in Bonn verlangt Neuwahlen, Schröder plädiert für große Koalition, und Sie vereinbaren Spitzengespräche. Können Sie uns sagen, was zur Zeit in der SPD gilt?

Erstens: Wir gehen in diese Gespräche mit klaren Forderungen und Vorstellungen. Zweitens: Diese Gespräche dürfen nicht in Laberrunden ausarten. Drittens: Wenn die Regierung ihr eigenes Chaos nicht ordnen kann, dann soll sie Neuwahlen machen. Viertens: Eine große Koalition steht nicht zur Debatte.

Wenn die SPD der Regierung bei der Problemlösung helfen will, dann kann sie doch auch gleich richtig ins Boot einsteigen. Da hat Schröder doch recht.

Ich will ja keine Ehe mit denen eingehen. Zwischen einer großen Koalition und Gesprächen zwischen den Parteispitzen besteht ein himmelweiter Unterschied. Im übrigen: Dies ist ein Gespräch mit den Koalitionsparteien, also auch mit der FDP.

Sie hoffen ja, die Dinge in Ihrem Sinne mitentscheiden zu können, und erwägen dann gemeinsame Abstimmungen im Bundesrat und Bundestag. Da können Sie doch gleich auf der Regierungsbank Platz nehmen.

Eine Koalition geht man ja ein, wenn man ein breites Feld von Gemeinsamkeiten hat. Eine solche Übereinstimmung sehe ich mit dieser CDU/CSU überhaupt nicht. In Einzelfragen, wie etwa bei dem Asylbeschleunigungsgesetz, kann man gleichwohl zusammenarbeiten. Auch diesem Gesetz gingen ja Gespräche der Parteivorsitzenden voraus. Solche Verabredungen haben aber doch nichts mit einer großen Koalition, für die ich keine gemeinsame Basis sehe, zu tun.

Glauben Sie, daß das im Sommer auch noch so sein wird? FDP und CSU stellen sich ja inzwischen öffentlich gegenseitig Bedingungen, die bis zur Sommerpause der jeweilige Partner erfüllen soll. Andernfalls wird das Ende der Koalition angekündigt. Ist das alles nur Geschwätz?

Wir haben ja am Tag von Genschers Rücktritt vom Anfang vom Ende dieser Koalition gesprochen. Ich will nicht ausschließen, daß das Ende schneller naht, als sich das manche vorstellen. Aber wenn der Punkt erreicht ist, müssen die Wähler und Wählerinnen neu entscheiden. Ich hoffe, daß dann die SPD die Regierung stellen wird.

Ist das definitiv? Wird die SPD vor Neuwahlen keine große Koalition eingehen?

Man soll im Leben zwar nie nie sagen, aber wenn ich die Diskussionsbeiträge während der letzten Präsidiumssitzung betrachte, dann war es sehr eindeutig, daß für uns eine große Koalition nicht ohne Neuwahlen in Frage kommt. Nach Neuwahlen hängt es dann vom Wahlergebnis ab, und dann sind, so hoffe ich, andere Mehrheiten möglich.

Bei dem jetzt vereinbarten Spitzengespräch wird es auch um das Asylrecht gehen. Ihr Fraktionsvorsitzender hat inzwischen die Zustimmung zur Grundgesetzänderung signalisiert. Jeden Tag eine neue Interpretation. Was gestern noch als unantastbar galt, wird heute über den Haufen geworfen.

Das ist unfair. Wir haben immer für die Beschleunigung der Verfahren plädiert und auf die europäische Harmonisierung hingewiesen. Wenn im europäischen Rahmen eine Veränderung der nationalen Gesetzgebung notwendig ist, dann sind wir zu dieser Anpassung bereit. Das schließt die Änderung des Artikel 16 mit ein. Dabei ist für uns klar, daß das Asylrecht auf der Basis der Genfer Flüchtlingskonvention und der europäischen Menschenrechtskonvention als Individualrecht Bestand haben muß.

Bisher hat die SPD auch immer gesagt, eine Grundgesetzänderung bringe nichts. Jetzt auf einmal doch?

Wenn wir sagen, wir sind im Rahmen der europäischen Harmonisierung für eine Klarstellung des Artikel 16 im Grundgesetz, dann heißt das ja nicht, daß wir jetzt plötzlich glauben, daß das die große Lösung darstellt. Auf die Einwanderungsströme wird das keinen großen Einfluß haben. Selbst wenn es zu einem Einwanderungsbegrenzungsgesetz kommt, zu Quoten bei Aussiedlern und einem lediglich befristeten Aufenthaltsrecht für Bürgerkriegsflüchtlinge, werden wir weiterhin mit Zuwanderung zu rechnen haben. Wir wollen und wir brauchen Ausländer in Deutschland. Dies müssen wir auch laut und deutlich sagen, weil ich nicht will, daß falsche Erwartungen geweckt werden. Interview: Walter Jakobs

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