INTERVIEW: Unternehmer sollten Investitionsabgabe zahlen
■ Interview mit Harald Ringstorff, SPD-Parteiratsvorsitzender, Fraktionschef und Landesvorsitzender der SPD in Mecklenburg-Vorpommern: Der Osten braucht kurzfristig mehr Geld, sonst wird die Einheit langfristig noch teurer
taz: Herr Ringstorff, die öffentlichen Haushalte haben in dieser Woche Regierung und Opposition beschäftigt — beide haben Finanzierungs- und Sparkonzepte vorgelegt. Reicht Theo Waigels Kurs für den Osten?
Harald Ringstorff: Ich glaube nicht. Die Koalition setzt den Kurs fort, die Kosten der deutschen Einheit ungleich zu verteilen. Es ist für mich ein Unding, die Zuschüsse für die Bundesanstalt für Arbeit zu streichen. Die Arbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern wird deutlich ansteigen, denn die verhältnismäßig „moderaten“ Arbeitslosenquoten von 15 Prozent sind ja nur durch arbeitsmarktentlastende Maßnahmen der Bundesanstalt erreicht worden, durch Umschulung, Vorruhestandsgeld, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen usw. Wenn diese Mittel gestrichen werden, dann haben wir ganz andere Quoten, und ich befürchte wirkliche soziale Unruhen. Das ist nicht die richtige Stelle, wo man ansetzen muß.
Wo soll gespart werden?
Die SPD hat vorgeschlagen, den Rüstungsetat um vier bis fünf Milliarden Mark zu kürzen. Zweitens soll die Unternehmenssteuerreform aufkommensneutral gestaltet werden. Die Unternehmen haben eine gute Ertragslage, die Bundesrepublik hat wieder einen Exportrekord erzielt. Zudem hat die deutsche Wirtschaft mit der deutschen Einheit ganz gut verdient, sich aber andererseits mit Investitionen in den neuen Ländern relativ zurückgehalten. Die SPD hat außerdem eine Ergänzungsabgabe vorgeschlagen, für Besserverdienende. Die genaue Einkommensgrenze ist nicht genannt worden, aber wir denken an etwa 60.000 Mark für Alleinstehende, 120.000 für Verheiratete. Das würde 10 bis 12 Milliarden Mehreinnahmen bringen. Und dann denken wir auch daran, bei Freiberuflern, Selbständigen, also denjenigen, die keine Beiträge an die Arbeitslosenversicherung zahlen, eine Arbeitsmarktabgabe zu erheben.
Die SPD will also mehr Geld in die öffentlichen Kassen holen. Vor einigen Wochen hat die SPD bei zusätzlichen Abgaben immer hinzugefügt: bei den hohen Einkommen. Jetzt heißt es: hohe und mittlere Einkommen. Die Grenzen verschieben sich unauffällig nach unten. Läuft es nicht darauf hinaus, und müßte die SPD das der Ehrlichkeit halber nicht auch sagen, daß die Westdeutschen zahlen müssen?
Es wird darauf hinauslaufen, denn wenn man den Grundgesetzauftrag erfüllen und die Lebensverhältnisse angleichen will, dann ist ein erheblicher Realtransfer nötig. Aus dem jetzigen Wachstum ist das nicht finanzierbar. Also muß man andere Finanzquellen erschließen. Wenn die dramatische Neuverschuldung fortgesetzt wird, bürdet man die deutsche Einheit unseren Kindern und Enkeln auf und treibt letztlich die Kosten noch höher— das ist kein Weg. Besser wäre, für eine begrenzte Zeit die Einnahmen zu erhöhen. Auf die Dauer ist es nicht gut, wenn der Osten nicht in die Lage versetzt wird, einen eigenen Beitrag zu leisten. Wenn man das aber will, dann muß in den neuen Bundesländern mehr investiert werden. Wir brauchen also einen anderen Treuhand-Auftrag, nämlich aktive Sanierung, und die kostet kurzfristig mehr Geld. Langfristig macht es sich bezahlt, wenn man jetzt klotzt und nicht kleckert.
Wären Sie dafür, den Solidaritätsbeitrag beizubehalten?
Ich wäre dafür, aber ab einer bestimmten Einkommensgrenze. Ich weise immer wieder darauf hin: Letzten Endes wird es billiger, wenn jetzt wirklich massive Anstrengungen unternommen werden. Wenn man den Osten auf Dauer abkoppelt, werden diese Transfers auf Dauer nötig sein. Für die Menschen wäre es deprimierend, ständig alimentiert zu werden, und außerdem wird das teurer.
Die Hoffnung auf eine schnelle Angleichung der Lebensverhältnisse ist im Osten gründlich enttäuscht worden. Was sagen Sie ihren Mitbürgern, auf welche Zeiträume sie sich einstellen müssen?
Das ist schwer. Sicher können beispielsweise die Wohnverhältnisse nicht in vier, fünf Jahren angeglichen werden. Das wäre eine Illusion. Das dauert mindestens bis zum Jahr 2000, wahrscheinlich noch länger, zehn oder fünfzehn Jahre. Die Tariflöhne müßten in kürzerer Zeit angeglichen werden, schon deshalb, weil die Ost-West-Wanderung sonst weitergeht — ein Bumerang auch für die Westländer. Auf keinen Fall darf man die Menschen wieder durch leere Versprechungen enttäuschen, wie es der Bundeskanzler gemacht hat.
Es gibt einige Tarifverträge, die ein sehr rasches Tempo für die 100-Prozent-Angleichung vorsehen. Sie selbst haben kürzlich, sehr dezent, darauf hingewiesen, daß es einen gewissen Gleichklang von Lohnniveau und Produktivität geben muß, und angefügt: Also müssen wir die Produktivität steigern. Sie wissen natürlich, daß die Produktivität unmöglich in drei Jahren auf ein 100-Prozent-Niveau angeglichen sein wird. Das heißt doch, daß sie für Geduld plädieren müßten.
Darüber muß man sprechen. Wenn die Bereitschaft bei den Arbeitnehmern erhöht werden soll, ein langsameres Tempo zu akzeptieren, dann muß diese Bereitschaft durch höhere Investitionen honoriert werden. Da hält man sich nach wie vor vornehm zurück, und das muß deutlich kritisiert werden.
Sie haben einen Vorschlag gemacht, der nicht ins SPD-Paket aufgenommen wurde, nämlich die stärkere steuerliche Belastung nicht wieder investierter Gewinne, also eine Investitionsabgabe von Unternehmern.
Darüber diskutieren wir in der Ost-SPD. Das Instrument ist gar nicht so neu. Ludwig Erhard, der wohl zu Recht als Vater des Wirtschaftswunders gilt, hat auch nicht mit reinen marktwirtschaftlichen Instrumenten gearbeitet. Zum Wiederaufbau der Montanindustrie hat er im Grunde eine Art Zwangslenkung von Investitionen vorgenommen, mit großem Erfolg. Am Anfang war die Wirtschaft dagegen, am Ende fanden es alle richtig.
Warum nimmt die Gesamt-SPD den Vorschlag nicht auf?
In der SPD braucht alles eine gewisse Zeit der Diskussion. Interview: Tissy Bruns
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