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INTERVIEW„Wenn ich diesen Köder schlucken würde...“

■ Der kubanische Schriftsteller Jesús Diaz wurde in einem obskuren Drohbrief des kubanischen Kulturministers mit dem Tode bedroht

taz: Was bedeutet der Drohbrief des kubanischen Kulturministers Armando Hart ganz konkret, wenn Sie nach Kuba zurückkehren würden?

Jesús Diaz: Ein Brief wie dieser ist ein Verbot, nach Kuba zurückzukehren. Der kubanische Staat ist nicht ein Staat wie jeder andere, und die Regierung behält sich das Recht vor, die Einreise in das Land zu genehmigen oder nicht zu genehmigen. Sie könnte auch noch weiter gehen, denn die Nationalversammlung hat in den jüngsten Verfassungsänderungen der Regierung zudem das Recht gegeben, als mißliebig definierten Bürgern die kubanische Staatsbürgerschaft zu entziehen. Auch das könnte passieren.

Aber bislang haben Sie dies noch nicht auf die Probe gestellt und die Wiedereinreise beantragt?

Nein. Und das werde ich auch nicht tun. Diese Bürokratie ist teuflisch, das kommt nie zu einem Ende. So dumm bin ich nicht. Dieser Brief sagt alles — wozu da zum kubanischen Konsulat laufen?

Wie erklären Sie sich, daß der Brief in solch absurder Form verfaßt ist, er nicht einmal an Sie, den Adressaten, abgeschickt wurde?

Ich weiß es nicht. Ich habe wirklich keine Ahnung — und ich will auch keine Zeit damit verschwenden, darüber nachzudenken. Denn eine Sache glaube ich doch zu wissen: Wenn ich anfangen würde, diesen Köder zu schlucken, dann käme ich mindestens ein Jahr lang nicht mehr zum Arbeiten. Dieses Labyrinth würde meine ganze Zeit fressen, und am Ende würde ich es doch nicht verstehen. Aber ich will Literatur schreiben. Ich bin Schriftsteller, kein Politiker.

Für Havanna ist der Sinn Ihrer „Ausweisung“ wohl vor allem eine Art Frontbegradigung, die klare Linienziehung zwischen „Freund“ und „Feind“. Ist für Sie danach eine dritte Position zwischen den Frontstellungen aus Havanna und den USA überhaupt noch möglich?

Ich denke ja. Sie wird schwierig, aber ich denke, sie ist möglich. Sicher, die Trennlinie zwischen „Freund“ und „Feind“ existiert — ganz offensichtlich hat sich die kubanische Regierung zu meinem Feind erklärt. Aber man kann verschiedene Feinde haben.

Haben Sie denn Hoffnung auf einen Wandel in Kuba?

Der Wandel muß aus Kuba selbst kommen, nicht von außen. Da gibt es nun zwei Möglichkeiten, die vor allem von der Haltung der USA abhängen: Wenn die US-Regierung die Vision hätte, von sich aus und ohne Bedingungen das Embargo aufzuheben, dann würde dies eine interne Lösung sehr erleichtern. Wenn die USA die Blockade aufrechterhalten, dann stärken sie Fidel Castros starre Position. Im ersten Fall kann es einen friedlichen Ausweg geben, im zweiten Fall einen gewaltsamen und blutigen. Der zweite ist traurigerweise der wahrscheinlichere.

Von welchen Teilen der kubanischen Gesellschaft würden Sie denn am ehesten ein Aufbegehren für Veränderungen erwarten?

Wer — das weiß ich nicht. Was ich weiß, ist, daß der Motor die Verzweiflung sein wird, der Hunger, die Erschöpfung. Aber welcher Art die organisatorische Struktur sein wird, die dies aufgreift — darüber kann man nur spekulieren.

Seit eineinhalb Jahren leben Sie jetzt in Berlin. Manche hier meinen: Wenn die sozialistischen Regierungen Osteuropas vorher gewußt hätten, welche Wendung die Reformprozesse nehmen würden, dann hätten sie diese nie und nimmer zugelassen. Kuba hat den Fall Osteuropas vor Augen...

Aus dem Zusammenbruch Osteuropas zieht Castro vor allem die Schlußfolgerung: Kein Bleistift darf sich bewegen, es darf sich nichts auch nur einen Spalt weit demokratisieren — denn sobald sich eine klitzekleine Lücke auftut, bricht alles zusammen. Bedeutet dies, daß er auf ewig verhindern kann, daß sich Lücken auftun? Nein. — Man kann die Ereignisse in Osteuropa kritisch betrachten; aber das erlaubt nicht zu verbieten, daß sich in Kuba ein eigenständiger Prozeß des Wandels entwickelt.

Castro hält dagegen: entweder mit ihm „widerstehen“ oder die völlige Unterwerfung unter die „Yankees“ — dazwischen gibt es nichts...

Nein, das mißachtet eine ganz fundamentale Tatsache: Kuba muß mit den USA verhandeln. Wir sind nicht mehr im 19. Jahrhundert. Kuba wird definitiv nicht weiter in der Form leben können wie bisher. Deshalb muß Kuba einen Modus vivendi mit den USA finden, so wie sie sind, denn sie werden sich nicht von heute auf morgen radikal verändern. Da gibt es keine Alternative. Ich will nun nicht, daß Kuba in den Status einer Halbkolonie der USA zurückfällt. Aber sich ein Kuba vorzustellen, das überhaupt und in keinster Weise abhängig ist von den USA — das ist in der Welt von heute ein Ding der Unmöglichkeit. Solange es die Sowjetunion gab, ging das. Aber war Kuba völlig unabhängig von der Sowjetunion? Offenkundig nein. Andere Abhängigkeiten entstanden — genauso diskutierbare wie die Abhängigkeit von den USA.

Wie viele Konzessionen Kuba nun dabei macht und welche nicht, welches Maß an Unabhängigkeit am Ende stehen wird — all das hängt ganz entscheidend von den konkreten Umständen ab, unter denen ein solcher Modus vivendi mit den USA verhandelt wird. Und ich denke, je früher man verhandelt, desto besser.

Aber hat Kuba wirklich die Möglichkeit, über seine Beziehung zu den USA zu entscheiden? Ist es am Ende nicht doch das Weiße Haus, das darüber entscheidet?

Nein, ich denke das hängt in der Tat auch von Kuba ab. Wenn Castro sagt: „Wir fordern die bedingungslose Aufhebung des Embargos!“ — Werden die USA darauf eingehen? Ich glaube nicht. Also muß Kuba erkunden, unter welchen Umständen die USA die Blockade aufheben würden. Vielleicht könnte Kuba ein Plebiszit anbieten. Oder wenn die USA für die Aufhebung des Embargos Wahlen fordern: Dann hält Kuba eben Wahlen ab, sucht die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, dann werden Fristen gesetzt, und langsam normalisiert sich die Situation. Wenn die Revolution so viel Unterstützung im Volk hat, wie Fidel Castro sagt — warum nicht Wahlen abhalten und sie gewinnen?

Wenn nun aber weder die Regierung in Havanna noch die in Washington einen solchen Verhandlungsprozeß wollen?

Dann wird Blut fließen.

Was erhoffen Sie sich in dieser Situation Kubas von Europa?

Nichts. — Nichts. Europa kann auch gar nicht „helfen“. Da wütet ein blutiger Krieg mitten in Europa selbst, wo alle gedacht hatten: So etwas kann es in Europa nicht mehr geben, so etwas würde Europa nicht zulassen. Und Europa ist völlig hilflos, diesen Krieg zu stoppen. Was soll sich Kuba von diesem Europa erhoffen? Interview: Bert Hoffmann

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