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INTERVIEW»Wir fühlten uns dort ungeheuer verloren«

■ Ein 40jähriger Berliner zu den Auseinandersetzungen vor dem Asylbewerberheim vergangenes Wochenende in Rostock

Rund 50 Berliner des nichtorganisierten linken Spektrums fuhren am Sonntag nach Rostock, als sie die Nachricht von den Auseinandersetzungen vor dem Asylbewerberheim hörten. Dazu ein Gespräch mit dem 40jährigen Martin K. (Name geändert).

taz: Was für eine Situation habt ihr bei eurer Ankunft vor dem Asylbewerberheim vorgefunden?

Martin K.: Wir kamen Sonntag abend an und sind zusammen mit rund 100 anderen Linken, die wir in einem Jugendzentrum in Rostock getroffen haben, zu dem 10 Kilometer entfernten Heim gefahren. Vor dem Heim standen Tausende von Normalbürgern, die nur durch Polizei von dem Heim getrennt waren. Die Menschen waren total ausländerfeindlich drauf. Ein paar hundert Leute setzten diese Stimmung aktiv um. Vorangetrieben haben die Angriffe organisierte Faschisten: Glatzen, die Aufkleber wie »right power« hatten. Die anderen Aktiven waren zum Teil sehr junge, ganz normale Jugendliche mit kürzeren und längeren Haaren. Es wurden Molotowcocktails gebaut, Steine geworfen und immer wieder die Polizei angegriffen. Bei den Tausenden von Mitläufern floß der Alkohol in Strömen.

Wie habt ihr euch verhalten?

Wir sahen uns zunächst nicht in der Lage, irgendwas zu machen. Die Situation war so, daß jeder, dem man begegnete, ausländerfeindlich war. Es fielen solche Sprüche wie, »das sind Wanzen«. Es hat allen sichtlich Spaß gemacht. Rostocker haben uns erzählt, daß das Ganze schon seit drei Tagen lief.

Nach allem, was im Fernsehen gezeigt wurde, schien die Polizei total überfordert zu sein. Eigentlich hättet ihr euch doch auf die Seite der Beamten schlagen und diese unterstützen müssen.

Als wir um 9 Uhr abends ankamen, war die Polizei bereits in der Lage, den Status quo zu halten, indem sie die Angreifer auf Abstand hielt. Einige von uns haben mit dem Einsatzleiter und Beamten geredet. Aber es war nicht unser Ding, uns auf die Seite der Polizei zu stellen. Wir haben versucht, mit der Normalbevölkerung zu diskutieren, aber wir haben uns in keine Auseinandersetzung hineinbegeben. Es ist möglich, daß später eine kleine Gruppe Autonomer auf eine kleine Gruppe Faschos getroffen ist, aber davon haben wir nichts mitbekommen.

Im Verlauf der Nacht sind etliche Linke festgenommen worden. Wie kam es dazu?

Mitten in der Nacht bekam die Polizei Verstärkung aus Hamburg und Lübeck — nach zweieinhalb Tagen. Sie drängten die Angreifer immer mehr zurück, auch die Zahl der Schaulustigen nahm zusehends ab, vermutlich weil Montag Arbeitstag war. Gegen 2 Uhr haben wir rund 200 Antifaschisten etwa eine dreiviertel Stunde lang eine Demo bis zur Absperrung des Heims gemacht. Die Demo verlief total friedlich. Gegen halb 3 haben wir uns aufgelöst, zu diesem Zeitpunkt war auf der Straße nichts mehr los. Später wurde ein Teil der Demonstranten, die gerade mit ihren Autos nach Hause fahren wollten, auf einem Parkplatz von einem Konvoi Hamburger Polizisten eingekesselt. Einige von uns haben dicht neben einem Polizeiwagen mitbekommen, wie über Polizeifunk gemeldet wurde, daß bei der Durchsuchung der Autos ein Schlagstock und eine Dose Reizgas gefunden worden sei. Aus der Zentrale kam daraufhin der Auftrag, die Leute alle einzusammeln. Das waren dann diese 60 Festnahmen.

Mit welcher Intention seid ihr nach Rostock gefahren?

Wir wollten die AusländerInnen in dem Heim schützen. Aber angesichts der Übermacht von mehreren tausend Leuten schien das unmöglich. Ursprünglich wollten wir in das Heim hinein, weil es zunächst hieß, die Faschos seien schon drin. Das war aber falsch. Das Areal war abgesperrt, und die Polizei hat klar gesagt, hier kommt niemand rein. So gesehen war das Heim gut geschützt.

Glaubst du, daß die Asylbewerber eure Präsenz und die Demo bemerkt haben?

Nein, das war auch unserer großes Problem. Wir hatten das Gefühl, daß wir in der Menge der ausländerfeindlichen Bürger total untergehen. Es war mitten in der Nacht und dunkel. Für die Asylbewerber war es gar nicht ersichtlich, daß wir da waren. Die Entfernung zum Heim war einfach zu groß. Auch auf der Straße ist von der Demo nicht viel rübergekommen, weil nur noch ganz wenig Leute unterwegs waren.

Was ist euer Fazit?

Frust. Die ausländerfeindlich agierenden Massen waren ganz, ganz bedrohlich. Wir fühlten uns dort ungeheuer verloren. Interview: Plutonia Plarre

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