INTERVIEW: Debatte zum falschen Zeitpunkt
■ SPD-Präsidiumsmitglied Heidemarie Wieczorek-Zeul über ihre Ablehnung der jüngsten SPD-Beschlüsse zu möglichen Einsätzen der Bundeswehr
taz: Frau Wieczorek-Zeul, es gab einige Irritationen über die Interpretation der Beschlüsse von Partei und Fraktionsspitze am Wochenende, vor allem was die Kautelen des Bundeswehreinsatzes unter UNO-Kontrolle angeht. Bedeutet der Beschluß, daß eine grundsätzliche Reform der UNO vorausgesetzt wird, oder läßt er auch andere Möglichkeiten offen?
Heidemarie Wiezcorek-Zeul: Mein Eindruck ist zunächst, daß das öffentliche Signal und der formell beschlossene Text auseinanderklaffen. Das hängt sicher auch damit zusammen, daß das Signal, in der Form wie es am Samstag erfolgt ist, beabsichtigt war. Ich persönlich halte auch die beschlossene Formulierung für falsch. Ich bin dagegen, daß die SPD von ihrer Position zu den Blauhelmen abweicht. Ich bin dagegen, daß sie sich für militärische Kampfeinsätze der Bundeswehr im Rahmen der UNO ausspricht, unabhängig unter welchem Befehl. Wer diese Beschlußlage in der Sache ändern will, der muß einen außerordentlichen Bundesparteitag machen. Nach dem am Samstag beschlossenen Text wäre erstens die Verfassungsänderung zu den Blauhelmen notwendig, zweitens ist die Position zu militärischen Kampfeinsätzen so formuliert, daß, wenn der UNO-Generalsekretär mit möglichst vielen UNO-Staaten die Unterstellung von Kontingenten unter sein Kommando verhandelt und er dann auch auf die Bundesrepublik Deutschland zukommt, wir diese Anfrage positiv bescheiden sollen. Der Unterschied zu den bisherigen Äußerungen Björn Engholms ist der, daß er bisher gesagt hat, wenn eine solche Situation besteht, wird die SPD erneut entscheiden. Jetzt ist gesagt worden, wenn die Entscheidung ansteht, wird sie positiv sein. Es ist also das erste Mal, daß sich die SPD für militärische Kampfeinsätze aussprechen würde.
Gemäß ihrer Charta kann die UNO als Organisation einen sogenannten Militärrat aktivieren und dann die militärische Leitung beziehungsweise das Oberkommando über den Einsatz von UNO-Kampftruppen übernehmen. Ein Fall, der bisher in der Praxis noch nie vorgekommen ist. Ist der damit gemeint?
Das ist der in der Beschlußfassung intendierte Fall.
Eine Zustimmung zu dem Kinkel-Entwurf, der Anfang der Woche veröffentlicht wurde, ist damit also ausgeschlossen?
Nach dem beschlossenen Text ist eine Zustimmung zu dem Vorschlag von Kinkel außerhalb jeder Debatte. Deshalb sage ich, dieser Beschluß trägt nur zur Verwirrung bei, weil er die Position zur Verfassungsänderung der SPD verunklart. Wir können das Grundgesetz ja nicht alleine ändern. Wir sind darauf angewiesen, das mit CDU und FDP zu machen. Da bei beiden klar ist, daß eine reine Orientierung auf Einsätze unter dem Kommando des UN-Generalsekretärs ausgeschlossen ist, geht die Vorstellung nicht zusammen. Die CDU will mittlerweile militärische Kampfeinsätze ja sogar ohne jeden UNO-Bezug, die FDP will sie „unter dem Dach der UNO“, also nach dem Muster des Golfkrieges. Wenn es denn eine Verfassungsänderung mit einer Zweidrittelmehrheit im Bundestag gäbe, läge sie wahrscheinlich beim Modell Golfkrieg. Das fände ich verhängnisvoll. Deshalb ist es falsch, von der bisherigen Blauhelm- Position abzurücken.
Was hat Ihrer Meinung nach dazu geführt, daß diese Blauhelm- Position jetzt in der Parteispitze aufgegeben worden ist?
Das vermag ich nicht zu sagen. Ich verstehe mich jedenfalls nach wie vor in der Kontinuität derjenigen, die befürworten, daß die Orientierung der Bundeswehr Kriegsverhinderung ist, daß der Versuch friedlicher Konfliktlösungen Hauptschwerpunkt ist. Insofern werde ich eine solch andere Orientierung nicht akzeptieren.
Auf der einen Seite hat die SPD immer gesagt, man müsse die Debatte über eine Grundgesetzänderung von der Diskussion über die augenblickliche Situation in Jugoslawien trennen. Andererseits habe ich den Eindruck, daß dieser jetzige Beschluß nur unter dem Eindruck der Situation in Bosnien zustande gekommen ist.
Nein, es wird nach wie vor getrennt. Niemand in der SPD-Spitze ist für ein militärisches Eingreifen in Jugoslawien.
Gegen jedes Eingreifen oder bloß gegen ein Eingreifen der Bundeswehr?
Ich beziehe mich auf die Bundeswehr. Es gilt jedoch für beides. Auch das militärische Eingreifen von anderen hält niemand für sinnvoll. Im Prinzip halte ich die Diskussion über die Vorschläge des UNO-Generalsekretärs Ghali (internationales Gewaltmonopol der UNO) für eine gute Sache. Dies wird jedoch bisher— hauptsächlich von den Amerikanern— blockiert, weil die nicht wollen, daß außer ihnen jemand das Kommando über ihre Truppen führt. Aber jetzt in der Bundesrepublik eine Verfassungsänderung mit Hinblick auf eine völlig ungewisse Reform der UNO positiv zu bewerten, heißt, daß man am Ende bei der vorhin beschriebenen Golfkriegsvariante in der Verfassung landet. Das darf die SPD auf keinen Fall akzeptieren. Interview: Jürgen Gottschlich
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