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INTERVIEW„Ich empfinde es als befreiend“

■ Norbert Gansel, außen- und sicherheitspolitischer Experte der SPD-Bundestagsfraktion, zur militärpolitischen Wende der SPD-Spitze

taz: Die SPD-Spitze hat sich auf dem Petersberg-Treffen bei der Frage um den Out-of-area-Einsatz der Bundeswehr auf die Regierung zubewegt. Ist die SPD umgefallen?

Norbert Gansel: Nein, die SPD- Spitze hat für die Weiterentwicklung unserer Position Raum geschaffen. Ich empfinde das als befreiend. Konkret stellt sich die Frage, wie wir im Bundestag eine Zweidrittelmehrheit zustande bringen für eine saubere und präzise Verfassungsbestimmung, die den Einsatz von Bundeswehreinheiten bei friedenserhaltenden Blauhelmmissionen der UNO ermöglicht. Wir können nicht weiter bei jeder internationalen Krise den Einsatz von Blauhelmen fordern und gleichzeitig hinzufügen: „aber ohne uns“. Die SPD bleibt auch jetzt bei ihrer Ablehnung von Out-of-area- Einsätzen der Bundeswehr, die eine Interventionsarmee im Rahmen der NATO, der WEU oder nach dem Golfmodell machen würden. Die Bundesrepublik darf sich nicht unter die selbsternannten Hilfspolizisten der Weltpolitik einreihen. Wer aber den Mißbrauch der Verantwortung für den Weltfrieden für nationale und regionale Interessen und Supermachtansprüche verhindern will, muß die Kompetenzen und Instrumente der UNO stärken. Sie muß ihrer Verantwortung für die Weltinnenpolitik mit einer dazugehörigen Polizeigewalt gerecht werden. Ich kann die ganze Latte der nötigen und möglichen Mechanismen zur friedlichen Konfliktregelung herunterbeten. Das ändert für mich nichts daran, daß es Situationen geben kann und gibt, in denen der Einsatz militärischer Gewalt unvermeidbar ist. Dann soll das aber nicht wie beim Golfkrieg unter der Führung einer Supermacht, sondern unter der vollen Leitung und Verantwortung des UNO-Sicherheitsrates geschehen, entsprechend dem Kapitel 7 der UNO-Charta. Auf dem Petersberg ist vorgeschlagen worden, daß sich die SPD dieser Einsicht öffnet. Mehr nicht.

Wie soll die Reform der UNO genau aussehen, und was passiert, wenn sich vorher neue Konfliktfälle verschärfen, beispielsweise in Somalia oder in Kambodscha?

Wir haben dazu schon im Dezember im Bundestag einen Antrag eingebracht. Der beinhaltet: Stärkung der Stellung des Generalsekretärs und der finanziellen Basis der UNO, Erweiterung des Sicherheitsrates und Reduzierung des Vetorechts, effektiver Schutz von nationalen Minderheiten, Schaffung eines Menschenrechtsgerichtshofes, Aktivierung des Kapitels 7 der UNO- Charta, militärische Schutz- und Garantiefunktion für Staaten, die auf eigene Streitkräfte verzichten, Durchsetzbarkeit von Entscheidungen des Internationalen Gerichtshofes durch nichtmilitärische Sanktionen, etc. Wir haben also der UNO bereits die Polizeigewalt zugebilligt. Das wird jetzt in Somalia aktuell. Ich will die Entsendung von 500 Blauhelmen nach Somalia nicht verniedlichen. Aber wenn karitative Organisationen zur Sicherung ihrer Nahrungsmittelverteilung Hunderte von gun- men anheuern müssen, wäre eine aktive Polizeitruppe besser als Blauhelme in ihrer eher passiven Funktion.

Björn Engholm bietet an, schon vor der Reform der UNO über Kampfeinsätze der Bundeswehr zu diskutieren...

Die Aktivierung von Kapitel 7 ist Teil des Reformprozesses der UNO. Nach Kapitel 7, Art. 43 der UNO- Charta sind „alle Mitglieder der Vereinten Nationen verpflichtet, zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit dazu beizutragen, daß sie nach Maßgabe eines oder mehrerer Sonderabkommen dem Sicherheitsrat auf sein Ersuchen Streitkräfte zur Verfügung stellen“. Wenn also der Sicherheitsrat der Bundesrepublik wie die anderen UNO-Mitgliedsstaaten solche Sonderabkommen vorschlägt, stehen wir in einer Verhandlungs- und Prüfungspflicht. Wenn wir das Abkommen ratifizieren wollen, müssen wir unsere Verfassung ändern.

Der Grundgesetzentwurf der FDP sieht vor, sich an friedenschaffenden Maßnahmen nur auf Beschluß des Sicherheitsrates zu beteiligen. Sind Sie dafür bereit, die Kröte der einfachen Bundestagsmehrheit zu schlucken?

Nein. Die FDP will das Grundgesetz für das Golfmodell öffnen und die Beteiligung der Bundeswehr an einer solchen militärischen Intervention von der sogenannten Kanzlermehrheit abhängig machen. Das kommt für uns nicht in Frage. Wir lehnen das Golfmodell ab, und wir geben uns nicht für eine generelle Öffnung des Grundgesetzes für Kampfmaßnahmen unter dem UNO- Dach her, die uns im konkreten Fall von der Mitentscheidung ausschließt.

Muß die SPD nun einen Sonderparteitag einberufen, wie ihn Heidemarie Wieczorek-Zeul verlangt, um über ihre Linie zu entscheiden, oder ist gar eine Urabstimmung vonnöten?

Auch jetzt gibt es im Bundestag Entscheidungsbedarf nur für Blauhelmeinsätze. Dazu hat der Parteitag 1991 in Bremen uns grünes Licht gegeben. Sollte sich aber eine Konstellation ergeben, in der die SPD-Fraktion anderen Verfassungsänderungen oder politischen Erklärungen zustimmen wollte, müßte sie dafür vorher die Zustimmung eines Bundesparteitages einholen. Ich kann das für den Fall nicht ausschließen, daß es zwischen Regierung und Opposition einen verantwortbaren Kompromiß gibt. Solange es aber nicht um Entscheidungen geht, sondern um Meinungsbildung, braucht weder der Parteivorsitzende noch der Parteivorstand die Genehmigung eines Sonderparteitages. Petersberg ist ein legitimer Beitrag zur Meinungsbildung der SPD. Parteitagsbeschlüsse dürfen doch nicht zu Dogmen erklärt werden. Wenn das mit einem Sonderparteitag beabsichtigt ist, dann ist das ein Grundsatzstreit, der durch eine Urabstimmung in der Partei entschieden werden muß.

Beunruhigt Sie nicht, daß in Deutschland die Stelle des Pazifismus zu verwaisen droht?

Die SPD hat kein Monopol für den Pazifismus, aber der Pazifismus darf die SPD auch nicht monopolisieren. Pazifisten haben in der SPD immer eine politische Heimat gehabt. Das muß auch so bleiben. Sie sind ein Element der Selbstkontrolle in meiner Partei. Aber sie dürfen sie nicht dominieren.

Die ganze Debatte hat sich am Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien entzündet. Halten Sie eine Intervention für militärisch sinnvoll?

Jugoslawien stellt natürlich die aktuelle Frage, ob man die schwere Artillerie, mit der eine Zivilbevölkerung terrorisiert wird, nicht militärisch „ausschalten“ muß. Aber das ist einfach gesagt. Hinter den Geschützen sitzen ja Menschen. Töten, um das Töten zu beenden, wenn man selbst nicht angegriffen ist, ist ein schweres moralisches und politisches Problem — auch für die UNO. Ich befürchte, daß eine militärische Intervention den Krieg und das Leiden nur ausweiten und verlängern wird. Aber ich sehe mich auch nicht in der Lage, sie kategorisch auszuschließen. Fordern kann ich sie als deutscher Politiker schon deshalb nicht, weil Deutsche nicht daran beteiligt sein können und dürfen. Aber vielleicht kann es wenigstens zur Eindämmung der Kampfhandlungen beitragen, wenn die Serben eine Intervention im Auftrag der UNO fürchten müssen und sich die Bosnier und Kroaten auf sie nicht verlassen können. Interview: Bernd Ulrich

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