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INTERVIEW»Wir müssen einen Weg finden, der an der Gewalt vorbeigeht«

■ Herbert Scherer, verantwortlich für das Jugendprojekt »Wurzel«, über sozialpädagogische Arbeit mit rechtsextremistischen Jugendlichen

Das selbstverwaltete Jugendprojekt »Wurzel« arbeitet seit Februar mit rechtsradikalen Jugendlichen. Die Räume in Marzahn wurden vom Land Berlin gestellt, aus einem »Anti-Gewalt- und Aggressionstopf« spendierte Bonn 750.000 Mark für drei Jahre. Damit soll die Arbeit eines Streetwork-Projektes mit drei unterschiedlichen Jugendgruppen im »Bermuda-Dreieck« zwischen Hohenschönhausen und Marzahn finanziert werden.

In der vergangenen Woche verübte die »Rote Antifaschistische Fraktion«, wie berichtet, einen Brandanschlag auf die »Wurzel«. Der Grund: Die »Wurzel« sei ein »Faschistentreff«, von dem aus Aktionen geplant werden. Der Verband für sozialkulturelle Arbeit hatte das Projekt ins Leben gerufen. Die taz sprach mit Herbert Scherer, dem Berliner Geschäftsführer.

taz: Ist das Jugendprojekt »Wurzel« ein sinnvoller Ansatz sozialpädagogischer Arbeit?

Herbert Scherer: Es ist ein Experiment. Sehr viele von denen, die in der Jugendarbeit tätig sind, sagen, daß es keinen Sinn hat, mit rechtsextremistisch orientierten Jugendlichen zu arbeiten. Man sollte sie lieber der Polizei überlassen. Wir können natürlich nicht sagen, daß der Erfolg quasi durch den Einsatz pädagogischer Arbeit garantiert wird. Aber der Prozeß der Ausgrenzung, der sie immer weiter nach rechts getrieben hat, ist gestoppt worden, das läßt sich schon jetzt festhalten. Das hatte viel mit ihrer allgemeinen Lebenssituation zu tun, Fehlen von Arbeit, Wohnen und Perspektive. Daher der Hang zur Gewalt. Wir versuchen den Weg zu liberaleren Lösungen von Konflikten frei zu machen.

Sie halten also nichts davon, gegen solche Jugendliche repressiv vorzugehen?

Es darf meiner Meinung nach kein rechtsfreier Raum entstehen. Das Projekt ist kein sicherer Hafen für Straftäter, sondern es bietet für die Jugendlichen eine Alternative zur Gewalt.

Hat denn der größte Teil der Jugendlichen bereits Straftaten begangen?

...Ja, doch. Das kann man schon sagen. Ein großer Teil der Jugendlichen, mit denen die Arbeit begonnen wurde, hatte schon mit der Justiz zu tun. Aber ein Straftäterclub ist die »Wurzel« nicht.

Muß ein Jugendlicher, der in das Projekt aufgenommen werden will, bestimmte Voraussetzungen erfüllen?

Es gibt Gesetze in dem Projekt selber. So zum Beispiel, daß keine Gewalt angewandt werden soll. Es wäre aber absurd, ein Eintrittsbekenntnis zu verlangen.

Ist die »Wurzel« ein Hort neofaschistischer Ideologie, gar eine Rekrutierungsstelle?

Es gibt sicher auch Versuche von Rechtsaußen, mit der Gruppe Kontakt aufzunehmen und Einfluß auf sie zu gewinnen. Wir haben aber die Hoffnung, daß in der Gruppe durch das Projekt und dadurch, daß sich in der Kerngruppe Einstellungen — durch neue Erfahrungen — ändern, ein gewisser Immunisierungsprozeß läuft. Diejenigen, die das Projekt als Neonazizentrale bezeichnen, tun das wohl mit dem klammheimlichen Interesse, daß das Projekt scheitert.

Wird nicht dennoch eine Art Infrastruktur geschaffen? Ist das nicht eine Gratwanderung?

Diese Gefahr gibt es tatsächlich. Aber die meisten Jugendlichen der Gruppe wissen, daß so eine Entwicklung der Tod des Projektes wäre. Zumindest in ihren Äußerungen distanzieren sie sich davon. Im Rahmen dieses Anlaufpunktes kommt es natürlich zu Begegnungen. Das läßt sich nicht vermeiden. Es kommt letzten Endes darauf an, welche Einflüsse sich unter den Jugendlichen durchsetzen. Eine Garantie besteht natürlich nicht, aber darin besteht ja gerade die Arbeit in solch einem Projekt. Wenn sich diejenigen durchsetzen, die aus der »Wurzel« einen Neonazitreffpunkt machen wollen, würden wir das Projekt einstellen. Im Augenblick besteht diese Gefahr nicht. Ich würde dafür die Hand ins Feuer legen, daß die Kerngruppe bereits relativ immunisiert gegen solche Versuche ist... aber nur relativ.

Der Sozialarbeiter vor Ort erklärte, »Gesinnungspädagogik« könne er nicht betreiben. Findet in der »Wurzel« eine Auseinandersetzung mit dem Problem Rechtsradikalismus statt?

Es geht im wesentlichen darum, in jeder konkreten Situation nicht die rechtsradikale Lösung zu wählen. Das ist weniger eine Frage der Gesinnung als des konkreten Handelns. Ein Beispiel: Wenn das Projekt von linksautonomen Gruppen in Brand gesteckt wird, dann wäre sozusagen eine typisch rechtsradikale Lösung, Rache zu üben. Die würden dann zum Beispiel losziehen und das Ausländerwohnheim in Hohenschönhausen angreifen. Genau an der Stelle setzt dann die Arbeit an. Man schaltet sich dann in die angestrebten Konfliktlösungen ein, die die Gruppe bespricht und versucht den Weg zu finden, der an der Gewalt vorbeigeht.

Keiner aus der »Wurzel« war also bei den Anschlägen auf das Asylbewerberheim in Hohenschönhausen dabei?

Mir wurde versichert, daß keiner dabei war. Und ich glaube, daß das stimmt. Interview: Ralf Knüfer

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