INTERVIEW: Kurilen-Frage behindert das Denken
■ Der Rußland-Experte Haruki Wada, Professor an der Tokioter Todai-Uni, über den Insel-Streit
taz: Herr Wada, warum hat Präsident Jelzin seinen Besuch in Tokio absagen müssen?
Haruki Wada: Weil die leidige Kurilen-Frage heute schwieriger zu lösen ist als noch zu Zeiten Gorbatschows. Mit dem Zerfall des sowjetischen Systems ist vieles untergegangen, der Nationalismus aber ist geblieben. Grundlage des Nationalismus ist unter anderem die Frage des Territoriums. Deshalb ist es heute für Rußland so schwierig, in der Territorialfrage einen Kompromiß einzugehen.
Worauf aber gründet Japans unnachgiebige Haltung in der Kurilen-Frage?
Nach der japanischen Interpretation hatte der Krieg gegen die Sowjetunion im August 1945 nichts mit dem Krieg gegen die Alliierten zu tun. Das japanische Außenministerium behauptet, daß die Sowjetunion Japan den Krieg erklärte, als die japanische Kapitulation bereits feststand. Was aber nicht stimmt. Nach dem Krieg war Japan zunächst bereit, die Inseln aufzugeben. Für Japan war es damals viel wichtiger, das Tenno-System zu erhalten; so lautete der japanische Wunsch fürs Potsdamer Abkommen. Erst Ende der fünfziger Jahre hat dann das japanische Außenministerium die Forderungen über die heute umstrittenen vier Inseln erhoben. Damals hatte die Sowjetunion den überraschenden Vorschlag gemacht, zwei der fraglichen Inseln — Habomai und Shikotan — im Gegenzug zur Unterzeichnung eines Friedensvertrages zurückzugeben. Das war die Zeit des Kalten Krieges. Die USA hatten sich energisch eingemischt. Sie wollten einen Kompromiß zwischen Japan und der Sowjetunion auf jeden Fall ausschließen. Deshalb forderte Japan in der Folge gleich alle vier Inseln zurück. Dieses Inselproblem ist also ein Produkt des Kalten Krieges und hat ihn überlebt. Nun verhält es sich wie bei einer eingerosteten Garagentür: Beide Seiten wollen aufmachen, doch keiner schafft es.
Welche Verhandlungstaktik verfolgt die japanische Regierung?
Japan beharrt darauf, daß Rußland zunächst versprechen soll, alle vier Inseln zurückzugeben. Das ist für Moskau selbstverständlich unmöglich. Die Positionen beider können sich dadurch natürlich nicht annähern. Jelzin wollte aber herausfinden, ob Japan im Falle seiner Kompromißbereitschaft ein Einlenken signalisieren würde. Es geht dabei um die gemeinsame Erklärung von 1956, nach der Rußland zwei Inseln gegen einen Friedensvertrag abtritt. Nach wie vor bleibt die Frage offen, ob Japan einen solchen Vorschlag stur abtut.
Aber hat Japan überhaupt ein Interesse an der Zusammenarbeit mit Rußland, oder fürchtet es vielmehr den Sog des russischen Finanzchaos?
Die Regierung und das Außenministerium wollen das Problem lösen. Auch die Unternehmen haben Interesse an Rohstofferschließungen in Rußland. Nur müssen sie warten, bis die Politik ihnen grünes Licht gibt. Die japanische Außenpolitik hat also keine deutlichen Richtlinien, die beispielsweise besagen würden, wir investieren lieber in China als in Rußland. Nur solange das Inselproblem ungelöst bleibt, denkt in Japan niemand weiter. Die Politik dieses Landes ist sehr pragmatisch.
Behindert das alte Feindbild Rußland heute noch einen Kompromiß zwischen beiden Ländern?
Rußland ist in Japan nicht beliebt. Tatsächlich war Rußland oft ein großer Feind. Aber es ist eine andere Frage, inwieweit sich die Japaner je von Rußland bedroht gefühlt haben. Das hat mit der Insellage Japans zu tun. Der Kurilen-Streit, die Inhaftierung der Japaner in Sibirien und der Einmarsch der russischen Armee in der Mandschurei haben zwar das Feindbild Rußland verstärkt. Aber die allgemeine Abneigung gegenüber den Russen war eher ideologisch begründet, betraf nicht die russische Nation.
Würde es Proteste geben, falls Japans Regierung einem Kompromiß in der Kurilen-Frage zustimmt?
Für die meisten Japaner ist das Inselproblem furchtbar uninteressant. Nur Rechtsradikale würden Theater machen. Doch gerade weil viele Leute keinerlei Interesse an den Kurilen haben, findet eine Auseinandersetzung nicht statt. Nur deshalb gelten die Regierungsforderungen als Konsens im ganzen Land. Wenn aber Politik und Medien morgen sagen würden, wir brauchen die Inseln nicht mehr, fänden das die meisten vollkommen in Ordnung.
Was raten Sie Ihrer Regierung?
Japan sollte globaler denken. Wir müssen Rußland wirtschaftlich helfen. Das würde die Entspannung in der ganzen Region fördern. Auch territoriale Fragen kann man in einem solchen Klima besser lösen. Interview: Yamamoto/Blume
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