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INTERVIEW„Auf den Zug aufspringen“

■ Der Wissenschaftstheoretiker Hans-Dieter Dürr über die Chancen der Menschheit, die globale Katastrophe aufzuhalten

taz: In Berlin geht nun die internationale „Pugwash“-Konferenz zu Ende. Sie sind Vorsitzender der deutschen Sektion der Organisation, die 1955, zur Zeit des Kalten Krieges, von Wissenschaftlern wie Einstein und Russell gegründet wurde. Die Gefahr eines Atomkrieges scheint nach dem Ende des Ost- West-Konflikts gebannt.

Hans-Dieter Dürr: Die Gefahr eines Atomkriegs ist nur vermindert. Wenn wir nicht Themen aufgreifen wie die Nord-Süd-Problematik oder die ökologische Problematik, die alle mit dem wirtschaftlichen Ungleichgewicht zu tun haben, können wir das Thema Sicherheit nicht vernünftig behandeln. Das was nun in der Ost- West-Spannung abgebaut wurde, kommt sonst in anderer Form als Nord-Süd-Spannung wieder auf die Tagesordnung. Die große Gefahr ist, daß auch diese Spannung dann wieder mit militärischen Mitteln gelöst werden könnte. Doch der Norden ist nicht militärisch durch den Süden bedroht. Vielmehr stehen die Menschen aus dem Süden als Hungernde vor unseren Toren und bitten um Einlaß. Unsere Gesellschaft hat überhaupt keine Rezepte hierfür.

Kann die Wissenschaft diese Probleme lösen, oder ist sie selbst Teil des Problems?

Die Zeit vorbei ist, daß man einfach Naturwissenschaftler auffordern kann, nach gewissen technological fixes zu suchen, wenn man Probleme hat. Diese Haltung hat dazu geführt, daß die Probleme nicht nur nicht gelöst wurden, sondern sich sogar noch verschlimmert haben, da sie in Wirklichkeit meist gesellschaftlicher Natur sind. Die Lösung von gesellschaftlichen Problemen aber ist viel komplizierter als die von technischen, deswegen wurde sie bislang kaum angegangen.

Selbst in Fällen, in denen wir Lösungsansätze haben, wissen wir nicht, wie wir diese in der real existierenden Gesellschaft implementieren können. Wir sind zu weit vom Politischen entfernt. Die momentane Entwicklung ist wie ein Zug, von dem wir wissen, daß er auf den Abgrund zusteuert. Es hat keinerlei Sinn, sich auf die Gleise zu stellen und zu warnen, wenn ich schon weiß, daß der Bremsweg dieses Zuges länger ist als die Sichtweise des Lokomotivführers, dann werde ich höchstens überfahren. Ich muß als Wissenschaftler auf den Zug aufspringen, um ihn umzulenken.

Die Wissenschaft ist sehr stark bei der Lösung von Problemen, die sie in verschiedene Teile auflösen und dann Stück für Stück lösen kann. Sehr viele Probleme, wie beispielsweise das des ökologischen Gleichgewichts, kann man so kaum in den Griff bekommen, weil man das Zusammenspiel verschiedener Komponenten im Auge behalten muß. Immer dann, wenn ich mich auf ein Teil konzentriere, verliere ich ja das Wesentliche aus dem Auge.

Also muß eine neue, holistische Weltsicht her?

Ja, aber in gewisser Weise ist sie nicht neu, sondern es ist die Weltsicht, die wir über Jahrtausende, bis die naturwissenschaftliche Sichtweise aufkam, immer gehabt haben. Wir sind ja nur bis zu dem jetzigen Punkt der Evolution gekommen, weil wir sehr gut an die Umwelt angepaßt waren, sonst wären wir ausgestorben wie die Dinosaurier.

Sollte sich die Wissenschaft wieder der Ethik unterordnen?

Das Problem ist nicht, daß wir den Menschen erlauben, Dinge zu denken, die irgendwann zu schlimmen Konsequenzen führen, sondern daß immer der Drang besteht, alles, was möglich ist, auch zu realisieren.

In seinem Forschungsdrang schließt der Wissenschaftler dann einen Bund mit den Reichen und Mächtigen, weil nur die seine Arbeit finanzieren können. Können dabei Ergebnisse herauskommen, die im Interesse der Mehrheit der Weltbevölkerung sind?

Der Reichtum derer, die die Gesellschaft führen, beruht ja darauf, daß sie eine Räuberbande sind. Wertschöpfung, das Ziel der Wirtschaft, bedeutet im Grunde nur, daß ich Geld investiere in ein Schweißgerät, mit dem ich dann einen Tresor der Natur nach dem anderen aufbreche und ausraube. Die Leute, die so denken, sind diejenigen, die angeben, wie es weitergeht. Und die sind selbstverständlich immer dafür, daß man an noch größere Tresore herangeht, und die brauchen immer stärkere Macht, um sie aufzusprengen.

Ein Schlagwort bei der Diskussion um die Neuorientierung der Wirtschaft, das auch während Ihrer Konferenz in aller Munde war, ist das der „nachhaltigen Entwicklung“, eine Entwicklung also, für die nicht zukünftige Generationen bezahlen müssen. Unter welchen Voraussetzungen kann sie realisert werden?

Einer der wichtigsten Punkte ist, daß wir den Energieverbrauch im Norden wieder senken. Durch die Nutzung der fossilen Brennstoffe füttern wir in den Ökokreislauf eine Energiequelle ein, die sich in Hunderten von Millionen Jahren angereichert hat. Die buddeln wir jetzt aus und verbrauchen sie innerhalb von einigen Jahrhunderten und erzeugen dadurch künstlich einen Energiefluß, der hundertmal größer ist als die eingestrahlte Sonnenenergie. Das bringt unser Ökosystem aus dem Gleichgewicht. Wir müssen daher einen Lebensstil finden, der Schluß macht mit der enormen Verschwendung. Der nachhaltig ist, der von allen Menschen auf der Erde angestrebt werden kann und trotzdem ein freud- und lustvolles Leben gewährt. Dabei können wir von den sogenannten Entwicklungsländern lernen, die eigentlich in vieler Hinsicht, beispielsweise beim Energieverbrauch, die weiter entwickelten Länder sind. Unsere Verschwendungssucht ist zum Großteil von der Wirtschaft suggeriert, weil die auf Wachstum programmiert ist. Wir müssen also die Rahmenbedingung der Wirtschaft ändern. Beispielsweise müßten die Energiepreise um ein Vielfaches erhöht werden. Dann würde energiesparende Technik nicht mehr in den Schubladen verrotten, weil sie sich ökonomisch nicht rechnet.

Ist die Politik überhaupt in der Lage, für die nötigen Veränderungen zu sorgen?

Ich glaube nicht. Die Politiker sind im Grunde überfordert. Wenn immer man auf die Eliten setzt, wird es keine großen Fortschritte geben, weil die Eliten ja im wesentlichen ihre Macht von dieser Nicht-Nachhaltigkeit bekommen. Diejenigen, die Interesse daran haben sollten, sind eigentlich die einfachen Menschen. Es muß also über eine Stärkung der Öffentlichkeit gehen. Wenn Umweltminister Klaus Töpfer sich in eine ökologische Richtung entwickelt, hat das damit zu tun, daß ein großer Teil der Bevölkerung bereit ist, einen Abschlag vom Gehalt in Kauf zu nehmen, wenn dadurch der Umwelt geholfen wird.

Glauben Sie, daß die Menschen die nötige Intelligenz haben, um auf Dauer zu überleben?

Ich bin ich sehr pessimistisch. Andererseits weiß ich auch, daß es eine große Gefahr ist, immer mit den Erfahrungen der Vergangenheit Möglichkeiten der Zukunft abschätzen zu wollen. Der sogenannte realistische Standpunkt ist ja eine Betrachtung der Wirklichkeit durch den Rückspiegel. Das einzige, was ich weiß, ist, daß immer dann, wenn enorme Gefahren auftreten, plötzlich Sprünge passieren, die absolut unvorhersehbar sind. Ich halte es für möglich, daß aus dieser Spannung heraus die Leute auf einmal bereit sind, etwas zu tun, was wir durch Extrapolation aus der Vergangenheit für unwahrscheinlich halten. Es gibt Brüche und auf die müssen wir setzen. Udo Bünnagel

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