INTERVIEW: Der bestrafte Rassismus
■ Jess Hordes, Direktor der „Anti-Defamation League“ in Washington, über strafrechtliche Strategien gegen rassistische Gewalt
Die „Anti-Defamation League of B'nai B'rith“ (ADL) ist eine der ältesten US-amerikanischen Organisationen, die sich gegen Rassismus, Antisemitismus und Diskriminierung von Minderheiten engagieren. 1913 als Reaktion auf den Lynchmord an dem Juden Leo Frank gegründet, ist die ADL heute mit über dreißig Büros in den USA, Kanada und bei der UNO vertreten. Die Organisation veröffentlicht jährlich Dokumentationen über sogenannte „hate crimes“. Sie ist in den letzten zehn Jahren maßgeblich an der Entwicklung von Gesetzen gegen solche Straftaten beteiligt gewesen.
taz: In den USA gibt es einen eigenen Begriff für rassistische Straftaten: „hate crimes“. Die „Anti-Defamation League“ hat einen Gesetzentwurf entwickelt, der solche Straftaten ahndet. Wie definieren Sie „hate crime“?
Hordes: Darunter verstehen wir Straftaten, deren Motive in Vorurteilen gegenüber bestimmten Personen liegen. Zum Beispiel Gewaltakte gegen Menschen, weil diese eine bestimmte Hautfarbe, Nationalität, Religionszugehörigkeit, Geschlechtszugehörigkeit oder sexuelle Orientierung haben. Um dagegen strafrechtlich vorzugehen, haben wir ein Modellgesetz entworfen, das wir mit Parlamentsabgeordneten der einzelnen Bundesstaaten diskutieren.
Wir setzen in unserem Modellentwurf dort an, wo das Strafrecht ohnehin schon verletzt worden ist: Angenommen, jemand begeht eine Körperverletzung, und das Tatmotiv liegt klar in einem der eben genannten Vorurteile gegen das Opfer, dann fordern wir eine Erhöhung des normalerweise für Körperverletzung vorgesehenen Strafmaßes. Entsprechende Gesetze sind in mittlerweile 27 Bundesstaaten verabschiedet worden. „Hate-crime“-Gesetze im weitesten Sinne gibt es in 47 Bundesstaaten. Bei manchen beschränkt sich das aber auf gesetzliche Vorschriften, in den jährlichen Kriminalitätsstatistiken „hate crimes“ gesondert aufzuführen.
In den letzten Jahren haben mehrere Universitäten und auch einige Gemeinden Gesetze oder Anordnungen gegen „hate speech“ erlassen, womit der verbale demonstrative Ausdruck von Vorurteilen gemeint ist — zum Beispiel antisemitische Äußerungen. Solche Gesetze sind jüngst durch den Obersten Gerichtshof als Verstoß gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung gewertet worden. Wie steht die ADL dazu?
Der Definition von „hate speech“ liegt ein sehr viel breiterer Ansatz zugrunde. Damit kann jede Form von feindseliger und erniedrigender Äußerung gemeint sein, die sich gegen einen Menschen aufgrund seiner Hautfarbe, Geschlechtszugehörigkeit oder seines religiösen Glaubens richtet. In den USA ist „hate speech“ in aller Regel nicht kriminalisiert. Unsere Organisation fordert auch nicht die Kriminalisierung solcher Äußerungen. Wir haben immer eine klare Trennung zwischen Gesetzen gegen „hate crime“ und Gesetzen gegen „hate speech“ gezogen. Letzteres war nie unser Anliegen.
Die Gesetzeslage ist da in Deutschland viel restriktiver, was die Äußerung und Verbreitung von „hate speech“ angeht, zum Beispiel die Verbreitung neonazistischer Publikationen oder Symbole. Das hat natürlich etwas mit der Geschichte Deutschlands zu tun. Wir vertreten hier hingegen die Position, daß es politisch wie juristisch unsinnig ist, zum Beispiel an Universitäten bestimmte Regelungen für den Sprachgebrauch zu erlassen, obwohl unbestritten ist, daß rassistische und antisemitische Äußerungen gerade an den Unis ein Problem sind. Das ganze Problem der „hate speech“ läßt sich eher durch Erziehungsprogramme und Schulungen lösen. Die ADL hat in den letzten sechs Jahren ein landesweites Programm entwickelt, das sowohl in den Grundschulen als auch am Arbeitsplatz und an den Unis eingesetzt wird. Viele Studienanfänger werden auf dem Campus zum ersten Mal in ihrem Leben mit Menschen anderer Hautfarbe, ethnischer Herkunft oder Religion konfrontiert. Vorurteile beruhen zuallererst auf Ignoranz. Gegen Ignoranz kann man etwas unternehmen. Natürlich gibt es Ebenen von „hate speech“, gegen die man mit Aufklärung nicht ankommt. Es gibt hier in den USA die sogenannten „Holocaust-Revisionisten“. Die versuchen in der letzten Zeit verstärkt, an Hochschulzeitungen Anzeigen zu schalten. Manche halten das für eine normale geschäftliche Transaktion — Anzeige gegen Geld. Wir argumentieren, daß die Herausgeber hier einschreiten müssen. Das ist in unseren Augen keine Zensur, sondern eine publizistische Entscheidung, wie sie Redakteure jeden Tag treffen, indem sie entscheiden, was gedruckt wird und was nicht.
Wie reagieren nach Ihrer Erfahrung Staatsanwälte und Polizei auf die Einführung von „Hate-crime“- Gesetzen?
Etwas zögerlich, weil manche es für viel zu subjektiv halten, eine Straftat auf ihre vorurteilsbedingten Motive hin zu untersuchen — und danach das Strafmaß zu bemessen. Ihnen muß man klarmachen, daß das so kompliziert nicht ist — in den meisten Fällen ist ein solches Motiv offensichtlich.
Wir veranstalten regelmäßig Gespräche und Schulungen mit Polizei und Staatsanwälten zu diesem Thema. Gerade für die Polizisten ist das sehr wichtig. Das hat einen ungemeinen Einfluß auf das Verhältnis zur Bevölkerung, wenn die feststellt, daß ihre Polizei auf rassistisch motivierte Kriminalität sehr empfindlich reagiert. Auf nationaler Ebene arbeiten wir mit dem FBI zusammen. Mit FBI-Leuten gehen wir aber auch zu den lokalen Sheriffs oder Polizeirevieren.
Bei den jüngsten Angriffen von Neonazis gegen Flüchtlinge in Rostock ist wieder einmal klar geworden, daß Rechtsradikale inzwischen sehr viel besser organisiert sind und sich auch moderner Technologien bedienen — Computervernetzung zu Beispiel. Trifft diese Beobachtung auch auf die USA zu?
Manche Gruppen bedienen sich hier moderner Technologien, um ihre Propaganda loszuwerden. Sie produzieren zum Beispiel Programme fü das Kabelfernsehen. Es gibt Kanäle, die der Öffentlicheit zugänglich sind, und nach amerikanischem Recht ist es fast unmöglich, zum Beispiel Neonazi-Gruppen diesen Zugang zu verwehren.
Ein zweiter Problembereich sind Musikprogramme und -videos. In einem solchen Fall haben wir uns gerade an die deutsche Regierung gewandt, weil hier Rockkassetten mit Nazitexten aufgetaucht sind, die in Deutschland produziert wurden. Was man hier jedoch beobachtet, ist nicht nur die Modernisierung der Propaganda- und Organisationstechnik, sondern vor allem die Modernisierung des Images. Das ist das „David-Duke-Syndrom“ (David Duke, ehemals führendes Mitglied des Ku- Klux-Klan, kandidierte 1991 in Louisiana für das Amt des Gouverneurs, d. Red.) Eine Menge rechtsradikaler Gruppen haben von Duke gelernt. Sie laufen nicht mehr in den Kapuzen des Klan herum, sondern im Anzug. Sie geben sich rhetorisch moderater und werden dadurch attraktiver für breitere Zielgruppen.
Die dritte Tendenz, die wir beobachten: Die Bereitschaft zur Gewalt ist unter Jugendlichen, vor allem Skinheads, sehr viel größer geworden. Was die Mitgliedschaft in sogenannten „hate groups“ betrifft, so hat sie sich stabilisiert. In einigen Organisationen, wie dem Ku-Klux-Klan, dürfte sie sogar gesunken sein.
Alles in allem scheint die ADL aber ein recht effektives Strategiepaket entwickelt zu haben...
Das allein nützt nichts. Sie können noch so viele Maßnahmen und Programme entwickeln. Das Entscheidende ist die gesellschaftliche und politische Reaktion. Sie bestimmt das Klima, den moralischen Ton der Auseinandersetzung mit dieser Form des Hasses. Wie reagiert die Regierung? Wirft sie die Hände in die Luft und tut nichts? Wie reagieren Lokalpolitiker, Lobbygruppen, Bürgerorganisationen? Entscheidend ist die Frage, ob all diese Gruppen moralische Führungskraft beweisen. Interview: Andrea Böhm
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