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IN MOLDAWIEN WOLLTE DAS PARLAMENT DEN PRÄSIDENTEN ENTMACHTENLehre ging ins Leere

So schnell kann es gehen: Was als normales Szenario für die Wahl des moldawischen Staatspräsidenten begann, bringt jetzt die Volksvertretung zu Fall und könnte sich sogar noch zu einer handfesten Staatskrise ausweiten. Zweifellos war der Vorstoß gewagt, den Präsidenten gegen dessen erbitterten Widerstand auf eine rein repräsentative Funktion zurückzustutzen, fortan vom Parlament wählen zu lassen und damit verfassungsrechtliches Neuland zu betreten.

Gleichwohl verwundert das Vorgehen des moldawischen Parlaments nicht, schließlich reicht ein Blick auf andere ehemalige Sowjetrepubliken, um zu sehen, wohin die Reise unter selbstherrlichen, mit unerhörter Machtfülle ausgestatteten Staatschefs geht: Während in Weißrussland die Gewaltenteilung seit Jahren de facto nicht mehr existiert und der dortige Staatschef unter Missachtung aller Gesetze nach Gutdünken regiert, ist mittlerweile auch die Ukraine mit einem ausgebremsten Parlament auf dem besten Weg in einen Autoritarismus.

Dennoch könnte sich das moldawische Experiment, den postkommunistischen, autokratischen Tendenzen entgegenzuwirken, als Bumerang erweisen. Die Gründe dafür sind offensichtlich: Unklare Mehrheitsverhältnisse im Parlament ließen es von vornherein als unwahrscheinlich erscheinen, dass der neue Präsidentenwahlmodus reibungslos abgestimmt würde. Zudem hat die kompromisslose Haltung aller Beteiligten deutlich gemacht, dass die Gräben zwischen den Kommunisten und den anderen politischen Kräften tiefer denn je sind.

Ob Neuwahlen einen Ausweg aus dem Dilemma weisen, ist noch offen. Zumindest bieten sie eine Chance und könnten all jene ad absurdum führen, die, wie der derzeitige Präsident Petru Luschinski, behaupten, das parlamentarische Regierungssystem in Moldawien habe sich diskreditiert.

Doch viel Zeit für politische Ränkespiele zu vergeuden, kann sich Moldawien ohnehin nicht leisten. Noch immer sind wichtige westliche Finanzhilfen für das ärmste Land Europas auf Eis gelegt. Und lang anhaltende Querelen und unübersichtliche Verhältnisse werden die Geberfreude nicht gerade befördern. Das dürfte in Moldawien Konsens sein, auch über alle Parteigrenzen hinweg.

BARBARA OERTEL

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