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Archiv-Artikel

IN DER SCHWEIZ IST EIN KAMPF DARÜBER ENTBRANNT, WIE NAH ODER WIE WEIT WEG MAN VON DER EUROPÄISCHEN UNION SEIN WILL Eidgenossen vor der „Entscheidungschlacht“

ANDREAS ZUMACH

Gegen Masseneinwanderung“ und „Washington spioniert, Brüssel diktiert. Berlin pariert“ plakatiert die NPD im deutschen Europawahlkampf. Den ersten Slogan hat die Partei von ihren Gesinnungsfreunden in der Schweizer Volkspartei (SVP) übernommen. Deren „Initiative gegen Masseneinwanderung“ hatte bei der Volksabstimmung vom 9. Februar eine hauchdünne Mehrheit erhalten, die von allen rechtspopulistischen, ausländerfeindlichen und neofaschistischen Parteien in den EU-Staaten als großer Sieg gefeiert und zum Ansporn für die eigenen Kampagnen genommen wurde. Den zweiten Slogan könnte die SVP jetzt von der NPD übernehmen mit der Variation „Bern pariert“. Denn Christoph Blocher, der langjährige Chefstratege der SVP hat zur „Entscheidungsschlacht gegen den schleichenden EU-Beitritt der Schweiz“ aufgerufen. Um all seine Kräfte in diese Schlacht zu stecken, gab Blocher letzte Woche sogar sein Abgeordnetenmandat im Nationalrat, dem Schweizer Bundesparlament auf, da die Arbeit dort „Zeitverschwendung“ sei.

Erste Etappe der Schlacht ist der Kampf um die Umsetzung des Volkswillens zur Begrenzung der „Masseneinwanderung“. Dazu muss der Bundesrat dem Parlament bis spätestens Juni einen Gesetzentwurf vorlegen. Seit der Abstimmung vom 9. Februar wurden zahlreiche Modelle diskutiert. Die SVP möchte sogar das alte „Saisonarbeitermodell“ der 60er bis 80er Jahre wieder einführen. Damals durften nur die jeweils benötigten Arbeitskräfte in die Schweiz kommen, nicht aber ihre Familien – und auch das nur für jeweils neun Monate. Doch sämtliche bislang erwogenen Modelle dürften gegen das Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU verstoßen. Blocher wäre eine Eskalation zwischen Bern und Brüssel nur recht. Er hält die Personenfreizügigkeit für überflüssig und will verhindern, dass der Bundesrat ein weiteres bilaterales Abkommen mit der EU unterschreibt, mit dem sich die Schweiz für den Fall von Streitfällen zumindest beschränkt der europäischen Gerichtsbarkeit unterwerfen würde.

Zum wichtigsten Gegenspieler von Blocher könnte der derzeitige Außenminister Didier Burkhalter von den wirtschaftsliberalen Freidemokraten (FDP) werden. Der eher blasse Bürokrat, im Inland bis vor Kurzem Objekt harter Kritik und hämischer Witze von rechts bis links ausgesetzt, hat in den letzten Wochen dank seiner Funktion als diesjähriger Präsident der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) im Ukrainekonflikt an Ansehen gewonnen. Auf Vorschlag Burkhalters sollen die Eidgenossen spätestens 2016 darüber abstimmen, ob sie die Fortsetzung des bilateralen Vertragswegs mit der EU wollen. Grüne und Sozialdemokraten erwägen die Lancierung einer Volksinitiative, die ganz offen den Beitritt zur EU fordert. Und wahrscheinlich noch in diesem Jahr steht die Abstimmung über die sogenannte Ecopop-Initiative an, die – verbrämt mit ökologischen Argumenten – den jährlichen Zuzug von AusländerInnen auf 0,2 Prozent der Bevölkerung beschränken will.