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Archiv-Artikel

IM WARTEZIMMER Von innen kaputt

Keine Liebe, nur pure Missgunst

Ich gebe nach. Nach fünfeinhalb Wochen Erkältung gehe ich zur Ärztin. Ich finde das ja eigentlich bescheuert, wegen einer Erkältung zur Ärztin zu gehen. Ich finde, da sollte man wegen Krebs oder Aids hingehen oder wenn man sich was gebrochen hat, aber wegen Rotz und Husten? Egal, muss jetzt halt. Gehe also ohne Termin zur Anfangszeit der Sprechstunde und sage, es ist akut. Können Sie mich irgendwann zwischendurch dranlassen? Kein Problem, sagt die Sprechstundenhilfe. Zwei Stunden später merke ich, wie bescheuert meine Ansage war. „Irgendwann“ ist eben irgendwann.

Ich sitze im Wartezimmer neben der bollernden Heizung und friere trotzdem. Von der Empfangstheke kommt Schnulzenmusik aus einem knarrenden CD-Player. Ich ziehe die Kapuze von meinem Pulli über die Mütze und darüber die Kapuze meiner Jacke. Höre aber immer noch alles. Nervt das nur mich? Alle anderen lesen irgendwelche beschissenen Zeitschriften, die sich mit falschen Botschaften in die Seele fressen und von innen alles kaputt machen. Am Fenster hängt eine orangefarbene Gardine aus einem hässlichen Stoff, der einen starken Hass in mir auslöst. Nach drei Stunden ruft mich die Ärztin auf.

Ich erkläre, was ich habe, sie nickt und schreibt. „Hmm“, sagt sie, „soll ich Sie denn mal abhorchen, oder meinen Sie, das bringt nichts?“ „Na ja“, sage ich, „sind Sie die Ärztin oder ich?“ „Nur wenn Sie wollen“, sagt sie. „Wie viel muss ich denn dafür ausziehen?“, frage ich. „Nur die oberen Schichten“, sagt sie. Okay. Ich ziehe die Jacke und zwei Pullover aus, sie fummelt sich durch die fünfundzwanzig Schichten darunter. Dann schreibt sie mir Medikamente auf und mich zehn Tage lang krank. Im Bus nach Hause starre ich auf meine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Was für ein widerwärtiges und hoffnungsloses Wort, keine Liebe, nur pure Missgunst.

MARGARETE STOKOWSKI