ICE in der Krise: Es kommt ein Zug. Irgendwann.
Früher konnte man die Uhr nach den Zügen stellen. Heute kommen ICE-Züge zu spät, sind verkürzt oder fallen aus. Bis Ende 2012 wird sich daran kaum etwas ändern.
Stellen Sie sich vor, Sie fahren mit Ihren Kindern zur Kur oder in den Urlaub, Sie haben es geschafft, mit Koffern und Kinderwagen pünktlich auf dem Bahnhof zu stehen - und dann die Ansage. Nicht nur zwanzig Minuten verspätet kommt der ICE, er ist auch nur halb so lang wie sonst. Und natürlich - die reservierten Plätze sind in dem Wagen, der fehlt. Die Reservierungsgebühr bekommen Sie zwar zurück, darüber hinwegtrösten, dass mehrere Stunden im engen Gang auf Sie und die Kinder warten, dürfte Sie das aber kaum.
Immer wieder kommt es im Fernverkehr zu Störungen - und zwar nicht nur, wenn gerade mal wieder freche Diebe, wie jüngst in Brandenburg geschehen, Metall aus Oberleitungsmasten geklaut haben. "Die Fahrplansituation ist nach wie vor kritisch", sagt Karl-Peter Naumann, Bundesvorsitzender des Fahrgastverbandes Pro Bahn. Einen genauen Überblick, bei wie vielen Zügen es tatsächlich noch Probleme gibt, hat er nicht. Die Bahn hält solche Informationen zurück. So schlimm wie im Winter, als Schneeflug die Zugelektronik lahmlegte und zeitweise jeder zweite Zug zwischen Berlin und München ausfiel, sei es nicht mehr. Problematisch sei die Lage bei den ICE-T-Zügen, das sind jene mit Neigetechnik, die auf den Strecken Berlin-München, Frankfurt-Dresden und Dortmund-Wien unterwegs seien. Auch bei den ICE-3-Zügen, die zwischen Köln und Frankfurt fahren, gibt es Schwierigkeiten. Immer wieder werden verkürzte ICE-Züge eingesetzt. Unter der Woche kaum ein Problem. Kritisch wird es am Wochenende, dann müssen Menschen im Zug stehen. Die Bahn müsse die Informationen für Fahrgäste verbessern und die verkürzten Züge im Internet und auf Bahnhöfen ankündigen, fordert Naumann von Pro Bahn.
Die Achsen sind schuld
Diesen Artikel können Sie in der aktuellen sonntaz vom 17./18. April lesen - ab Sonnabend zusammen mit der taz am Kiosk erhältlich.
Grund für Verspätungen, Ausfälle und Verkürzungen sind Sicherheitsprobleme mit den Achsen der ICE. Zehnmal häufiger als vorher müssen die Züge überprüft werden, seit es am 9. Juli 2008 in Köln fast zur Katastrophe kam: Bei einem ICE, der zuvor auf der Hochgeschwindigkeitsstrecke Frankfurt-Köln unterwegs war, brach kurz nach der Ausfahrt aus dem Kölner Hauptbahnhof eine Radsatzwelle, umgangssprachlich Achse genannt. Ursache war ein Riss. Der Zug entgleiste, Fahrgäste und Besatzung kamen mit dem Schrecken davon, weil der Zug nur mit Schrittgeschwindigkeit unterwegs war. Wäre er bei vollem Tempo entgleist, hätte es zu einer Katastrophe wie 1998 in Eschede kommen können, als nach dem Bruch eines Radreifens mehr als hundert Menschen starben.
Die zuständige Bahnaufsicht, das Eisenbahnbundesamt, ordnete nach dem Vorfall von Köln häufigere Untersuchungen der Züge an. So sollten etwaige Risse im Stahl der Achsen frühzeitig erkannt und diese sofort ausgetauscht werden. Bei den ICE mit Neigetechnik sind laut der Behörde in den letzten eineinhalb Jahren vier Risse festgestellt worden. Im März wurden die Wartungsintervalle für diese Züge deshalb noch einmal verkürzt. Statt alle 30.000 Kilometer müssen sie nun alle 21.000 Kilometer überprüft werden. Früher waren es mal 240.000.
Bahn und Bahnindustrie - also die großen Hersteller von Zügen -, die sich monatelang gegenseitig die Schuld an dem Desaster zuschoben, haben sich mittlerweile auf den millionenteuren Austausch der Achsen geeinigt. Da die Achsen neu konstruiert und vom Eisenbahnbundesamt abgenommen werden müssen, könnte der Austausch bis Ende 2012 dauern, so Pro-Bahn-Chef Naumann. Bis dahin würde es also zu Engpässen kommen. Zudem komme die Bahn auch mit den normalen Wartungsarbeiten nicht immer nach. "Dann ist eine ICE-Toilette vielleicht auch mal etwas länger verstopft."
Risiko Renditezwang
Schuld an dem Desaster sei der Börsenkurs der Bahn, stellt das privatisierungskritische Bündnis "Bahn für alle" fest. Die Bahn habe an der Sicherheit gespart, um börsenfein zu werden. "Die Interessen von Mitarbeitern und Kunden stehen im Widerspruch zum Renditezwang", sagt Carl Waßmuth vom Bündnis.
Pro-Bahn-Chef Naumann hält auch die Rahmenbedingungen für problematisch. "Bei der Bahn gibt es keine Herstellerhaftung, sie kauft die Züge quasi wie gesehen." Das müsse dringend geändert werden, bei Flugzeugen oder Reisebussen sei dies schließlich auch nicht denkbar.
Bei aller Diskussion um die Sicherheit und Zuverlässigkeit der Bahn darf man nicht vergessen: Die Bahn ist noch immer deutlich sicherer, kalkulierbarer und auf vielen Strecken auch schneller als das Auto.
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