ICE-Unglück in Köln: Staatsanwalt ermittelt
Nach der Entgleisung eines ICE im Kölner Hauptbahnhof sucht die Bahn nach Ursachen und Schuldigen - und gerät selbst ins Visier. Haben Bahner Hinweise von Reisenden missachtet?
Die Deutsche Bahn AG hat 61 ICE-Züge der dritten Generation zur Überprüfung der Achsen aus dem Verkehr gezogen - und damit etwa ein Viertel ihrer gesamten ICE-Flotte. Rund 80 Verbindungen wurden gestern komplett gestrichen. Die dort fahrenden Züge hätten jeweils 440 Reisenden einen Sitzplatz geboten. Die verbleibenden Züge waren am Freitag deutlich überfüllt. Am Wochenende beginnen zudem in fünf Bundesländern die Ferien. Mit den Sicherheitsvorkehrungen zieht die Bahn Konsequenzen aus einem Unfall am Kölner Hauptbahnhof, bei dem ein ICE bei der Abfahrt aus den Gleisen gesprungen war.
Unmittelbar betroffen sind nun vor allem die Linien, die die neue Hochgeschwindigkeitstrasse zwischen Frankfurt und Köln nutzen. Weil der Antrieb des ICE 3 unter dem Zug liegt, kann er besser als seine Vorgänger Steigungen überwinden und als einziger Schnellzug in Deutschland die 2002 in Betrieb genommene Strecke mit einer Steigung von bis zu 0,4 Prozent fahrplanmäßig bewältigen.
Die Staatsanwaltschaft ermittelt nach dem Unfall am Kölner Bahnhof nun wegen "Gefährdung des Bahnverkehrs". Mehrere Reisende aus dem Zug hatten berichtet, schon kurz hinter dem Frankfurter Flughafen merkwürdige Geräusche gehört zu haben. Als sie den Zugbegleiter darauf hinwiesen, soll dieser abgewiegelt haben: "Da brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen, das hat nichts zu bedeuten", berichtet der Sprecher der Staatsanwaltschaft Köln.
Diese will nun herausfinden, ob die Geräusche mit dem späteren Achsenbruch des ICE zusammenhingen, und hat ein Gutachten in Auftrag gegeben. Sollte das der Fall sein, wären hunderte von Reisenden überaus knapp einer Katastrophe entgangen: Auf der Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Frankfurt und Köln sind die Züge mit bis zu 300 Stundenkilometern unterwegs.
Augenzeugen der Entgleisung berichteten von einem ohrenbetäubenden Quietschen, Ruckeln und abruptem Stillstand, bevor der Zug auf der Hohenzollernbrücke - einer der meistbefahrenen Bahnbrücken Europas direkt hinter dem Kölner Hauptbahnhof - zum Stehen kam. Verletzt wurde niemand; die etwa 250 Passagiere konnten zum Großteil durch den Zug zurück zum Bahnsteig gehen. Nachdem zunächst Gerüchte kursierten, eine kurz zuvor reparierte Schiene habe zu dem Unfall geführt, scheint die gebrochene Achse inzwischen als Ursache festzustehen.
Seit Freitag kurz nach Mitternacht sind die DB-Techniker in den Betriebswerken Frankfurt, München und Dortmund nun damit beschäftigt, jede Radsatzwelle mit Ultraschall zu untersuchen. Das Eisenbahnbundesamt als Aufsichtsbehörde hatte die DB aufgefordert, sofort geeignete Maßnahmen vorzuschlagen. Entschieden wurde, dass die Achsen aller baugleichen ICEs einer vorgezogenen Überprüfung nach 60.000 Kilometern Laufleistung unterzogen werden. "Aus Sicht des Eisenbahnbundesamtes sind die eingeleiteten Maßnahmen ausreichend", so Sprecherin Bettina Baader. Bisher wurden die Achsen nur alle 300.000 Kilometer überprüft und nach 1,65 Millionen gefahrenen Kilometern muss jeder Zug zu einer großen Revision. Weil die Kontrolle jeder Radsatzwelle etwa eine halbe Stunde dauert, wird der Bahnverkehr noch mehrere Tage lang beeinträchtigt bleiben.
Die Stahlachsen eines ICE sind im Alltag immensen Belastungen ausgesetzt. Sie müssen jeweils eine Last von bis zu 17 Tonnen tragen, und das spröde Material wird durch die Schläge bei einer Geschwindigkeit des Zuges von bis zu 300 Stundenkilometern stark beansprucht. Nicht mehr in Gebrauch sind die Radreifen, von denen einer vor zehn Jahren zur Entgleisung eines ICE der ersten Generation bei Eschede mit 101 Toten führte. Der ICE wird von einem Konsortium unter Federführung von Bombardier und Siemens hergestellt; die jetzt betroffene dritte Generation ist seit dem Jahr 2000 in Deutschland unterwegs.
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