: I N T E R V I E W „Noch bricht die Koalition nicht auseinander“
■ Der wertkonservative Vordenker Prof. Günter Rohrmoser (CDU) über die Konsequenzen aus dem Streit um die Aufnahme der chilenischen Oppositionellen und über den Bstand der Bonner Koalition+ZD=69 e
taz: Herr Rohrmoser, was halten Sie von dem Bonner Sommertheater? Rohrmoser: Diese Theorie ist völlig falsch. Der Streit fällt zwar ins Sommerloch, aber die tiefere Ursache - die Koalitionsfrage ist gestellt - geht weit über ein Sommertheater hinaus. Die Debatte über die Aufnahme der Chilenen ist nur der äußere Anlaß und hat mit den Ursachen des Konfliktes zwischen CSU und CDU nur wenig zu tun. An den Versuch des Außenministers, die FDP neben der Steuersenkungspartei als offensive Partei der Menschenrechte zu etablieren, hat sich der Generalsekretär der CDU, der seiner eigenen Partei wieder ethische und geistige Attraktivität geben will, angehängt. Er organisierte den Flug Blüms nach Chile, um die FDP zu überholen und sich an die Spitze der Profilierung zu setzen. Daß in Chile gefoltert wird ist ja bekannt und überhaupt nichts Neues. Geißler hat es auf die „Neue Mitte“ abgesehen. Welche Konsequenzen hat das für die CSU? Da liegen die Wurzeln für die Heftigkeit dieses Streits. Geißler will, daß die CDU sich neuen Wählerschichten öffnet, sich nach links bewegt. Über diesen Kurs ist jetzt der grundsätzliche Streit ausgebrochen, nachdem die CSU durch Tandler Geißlers Wahlanalyse in äußerster Härte und Schärfe widersprochen hat. Im Kern geht es darum: In dem Maße, wie sich die CDU nach links öffnet, muß sie bereit sein, ein immer größeres Potential der marktwirtschaftlichen Kräfte aus der Mitte an die FDP abzugeben. In dem gleichen Maße drängt sie aber auch die konservativen Kräfte an den Rand oder in die Wahlenthaltung. Oder in die Reihen der CSU? Das bedeutet, daß damit eintritt, was Herr Stoiber unmißverständlich erklärt hat: daß die Koalition im Begriffe ist, der CSU das Rückgrat zu brechen. Sollte Geißler sich durchsetzen, so Stoibers Angst, wäre der Abstieg der CSU zu einer bundespolitisch bedeutungslosen Provinzpartei der CDU vorprogrammiert. Es geht langfristig um die Existenz der CSU, und da hört der Spaß bekanntlich auf. Würde die CSU den Auszug aus dem Kabinett in Kauf nehmen? Das wird sie aus diesem Anlaß wahrscheinlich nicht tun. Daß sie aber zum ersten Mal seit Kreuth öffentlich durch Innenminister Zimmermann zugegeben hat, daß sie die Koalitionsfrage zum Gegenstand ernsthafter Reflektionen macht, ist ein Signal an den Kanzler, der in eine schwierige Lage geraten ist. Geißler mag dieser Autoritätsverlust gar nicht so unlieb gewesen sein. Offenbar hat er geglaubt, er könne die CSU und den von ihr gestellten Innenminister in die Knie zwingen. Kann es nicht auch sein, daß die CSU als Hort der Rechten von einer sich an die Stelle der SPD setzenden CDU profitiert? Das ist der entscheidende Denkfehler Geißlers. Wenn er aus der CDU eine progressiv getönte Nachfolgeorganisation der SPD von Helmut Schmidt zu machen entschlossen wäre, dann wäre es ein strategisch absolut richtiger Ansatz. Gleichzeitig müßte er aber auch akzeptieren, daß sich die dann heimatlos gewordenen Konservativen in einer eigenen politischen Formation organisieren. Wenn er nicht sogar der CSU, was das Sinnvollste wäre, die Möglichkeit gäbe, sich bundesweit zu organisieren. Dann wäre es ein konsequentes Konzept. Alles andere führt für die CDU zu einer Dampfkesselsituation mit ganz explosiven Kräften. Die Alternative wäre also eine bundesweite CSU? Man müßte tatsächlich außerhalb Bayerns darüber nachdenken, wie es zu einer progressiv–konservativen Zusammenfassung der Kräfte, die mit den Grundsätzen der CSU übereinstimmen würde, kommen könnte. Die CSU muß dies ins Kalkül miteinbeziehen, sonst müßte man unterstellen, sie sei verrückt. Wir brauchen eine vernünftige konservative Rechte, um einen bundesrepublikanischen Le Pen zu verhindern. Sie müßte dann in Bonn aus einer konstruktiven Opposition heraus die Restkoalition unterstützen. So weit ist es noch nicht. Der Erhalt der Macht wird dazu zwingen, die Truppen zu sortieren. Das ist richtig. Der Machterhalt ist ein so gewaltiges Interesse, daß noch viel geschehen muß, bis die Koalition ernsthaft auseinanderbricht. Aber die Zeichen dafür, daß dies geschehen könnte, sind da. Interview: Benedict Maria Mülder
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