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I N T E R V I E W „Die jungen Leute sind antimafios“

■ Bartolomeo Sorge, 58, Leiter des „Instituto Pedro Arrupe“ in Palermo und Ex–Chefredakteur von Civilta cattolica, über Siziliens Probleme und Chancen

taz: Was passiert derzeit in Sizilien? Bartolomeo Sorge: Wichtige Veränderungen, die auch nationale Tragweite haben; Palermo war seit jeher eine Art Laboratorium für ganz Italien. Veränderungen wo? Speziell auf drei Ebenen: der kulturellen, der wirtschaftlichen, der politischen. Kulturell: In Sizilien besteht, anders als sonst in Italien, die agrarische Kultur bis in unsere Tage. Im Ambiente der bäuerlichen Werte konnte speziell die Mafia prächtig gedeihen. Ändert sich das nun? Ja, ziemlich plötzlich für viele. Die Jugend zum Beispiel lebt bereits voll in der Postmoderne, unterscheidet sich kaum von der im Norden. Das heißt, Sizilien springt kulturell von der präindustrialisierten in die postmoderne Gesellschaft, ohne je industrialisiert gewesen zu sein. Wie sehen die Veränderungen im Politischen aus? Da gibt es nun die Auseinandersetzung zwischen zwei verschiedenen Sichtweisen von Politik. Die eine, alte, denkt vor allem in den Kategorien der Macht, der Postenverteilung, der Schematismen. Doch die Menschen stellen heute andere Fragen: Sie fragen nach Programmen, nach Zielen, wollen Probleme miteinander lösen, Prioritäten setzen, jenseits politischer Formeln und Blöcke. Das hat offenbar als erste die Sozialistische Partei zu spüren bekommen... Der Krach mit den Sozialisten rührt daher, daß diese noch der alten Formel von Politik anhängen und nicht begreifen, daß es nicht mehr darauf ankommt, diesen oder jenen Bürgermeister zu stellen, Posten zu besetzen. Und daß für Sizilien das von ihnen favorisierte nördliche Entwicklungsmodell nichts taugt. Wie gehts weiter? Mafiakriege beginnen wieder, die Koalition steht unter Beschuß... Ich weiß nicht, wie es weitergeht. Politisch wichtig ist, daß es das Experiment Palermo gibt. Und daß uns klarbleibt: Mit Polizei und Gerichten alleine werden wir der Mafia nicht Herr werden. Es wird noch eine oder zwei Generationen dauern, bis die jungen Leute von heute die Politik bestimmen. Sie sind derzeit antimafios, und das birgt Hoffnung. Doch ein Großteil von ihnen ist arbeitslos; und sie werden nur dann antimafios bleiben, wenn wir ihnen eine wirtschaftliche Entwicklung bieten, die sie nicht auf die Straße wirft und zum großen Reservoir mafioser Rekruten macht. In Rom, heißt es, sind viele nicht recht zufrieden mit Ihrer Seelsorge hier... Das juckt mich nicht. Wer es allen rechtmacht, leistet keine ernsthafte Arbeit. Wenn man nicht aneckt, bedeutet das, daß man schläft. Interview: Werner Raith

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