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I N T E R V I E W „Die Leute wissen nicht mehr, was gut und was schlecht ist“

■ Ein kubanischer Angola–Veteran berichtet über seinen Einsatz gegen die Guerilla von Jonas Savimbi, die Reaktionen der Bevölkerung und das kubanische Engagement

taz: Seit zwölf Jahren kämpfen angolanische Regierungstruppen mit kubanischer Unterstützung gegen die Guerilla von Jonas Savimbi. Wie schätzt du die militärische Situation ein? Antwort: Der Kampf der UNITA insgesamt ist geschwächt worden, aber der Guerillakrieg mit Hinterhalten, Raketenangriffen und Minen geht natürlich weiter. Savimbi hat immer noch eine Unmenge von Leuten unter Waffen, die Wirtschaft wird immer weiter destabilisiert. Und der Krieg verunsichert die Bevölkerung... Natürlich. Diese Destabilisierung wirkt vor allem auf die Leute. Sie wissen nicht mehr, was gut und was schlecht ist, ob die Kubaner da sind, um ihnen zu helfen oder nicht. Die UNITA gibt ihnen oft Lebensmittel und andere Dinge, die knapp sind. Viele Angolaner haben keine bestimmte Vorstellung von der Bedeutung des Staates. Sie gehen mit dem, der mehr bietet. Die Bewußtseinsbildung geht ziemlich langsam vor sich. Was passiert in einem Dorf, wenn ihr kommt? Nehmen wir das Beispiel von Usende, einem Dorf hinter dem Rio Kuansasu, das von der UNITA ziemlich schlecht behandelt wurde. Die Einwohner waren als Geiseln festgehalten worden; als wir kamen, starben sie fast vor Hunger, die Hälfte hatte Hepatitis oder andere Krankheiten. Wir mußten zu ihnen wie zu Kindern sprechen, um ihnen zu sagen, daß wir ihnen helfen wollten. Denn in all diesen entlegenen Dörfern hat die UNITA von uns Kubanern das Bild neuer Kolonisatoren gemalt. Sie sagen, wir seien gekommen, ihnen ihr Land und ihre Bodenschätze wegzunehmen. Deshalb sind die Leute von Anfang an äußerst mißtrauisch uns gegenüber. Allmählich wird das besser. Aber immer treffen wir innerhalb der Bevölkerung auf Feinde. Viele Leute, die wir tagsüber auf den Feldern arbeiten sahen, kollaborierten nachts mit der UNITA. Zum Beispiel wollten wir - eine gemischte Truppe aus Kubanern und Angolanern - einmal morgens gemeinsam mit der Dorfbevölkerung auf die Suche nach Maniok und anderen Wurzeln gehen. Wir haben das bis zum letzten Augenblick geheimgehalten und die Leute erst morgens um sechs zusammengerufen und informiert. Aber kaum waren wir einen Kilometer gegangen, da stießen wir schon auf einen Hinterhalt. Wir hatten dann einen Toten, konnten aber auch einen Offizier der UNITA fangen. Hat denn da die politische Überzeugungsarbeit mit der Bevölkerung überhaupt eine Chance? Doch, die Angolaner arbeiten daran, mit der Jugendorganisation und den anderen politischen Organisationen. Die Schwierigkeiten kann man nicht verallgemeinern. Es gibt natürlich die Völker, die gar nicht wissen, wofür gekämpft wird oder was das für eine Regierung da ist - eben wegen der starken ethnischen Unterschiede. Aber die Angolaner, die bei der FAPLA, den Regierungsstreitkräften sind, die sind bereit, mit uns zu kooperieren - und daß sie feige sind, ist einfach eine Lüge. In Angola gibt es etwa 40.000 Kubaner. Wie viele davon sind Freiwillige und wie viele leisten ihren Militärdienst ab? Ich bin mit einer Gruppe von Reservisten, die ihren Wehrdienst schon hinter sich hatten, nach Angola gekommen, aber die Mehrheit sind heute wohl Wehrpflichtige, die ihre 18 Monate ableisten. Die sind jünger, da gibt es einfach weniger Probleme, die haben meist noch keine Familie. Und die Reservisten gehen freiwillig? Wir Kubaner sind hier aufgrund unserer internationalistischen Politik. Die Angolaner haben uns um Hilfe gebeten. Die Rekrutierung hängt von den jeweiligen Notwendigkeiten ab. Wir präsentieren uns, und wer einverstanden ist, geht - wer nicht einverstanden ist, geht nicht. Der kann in Kuba bleiben? Ja, klar, es gibt Leute, die nicht gehen. Ich hätte ja sagen können: Ich war schon einmal in Äthiopien, ein zweites Mal gehe ich nicht. Das ist kein Problem des Zwangs, sondern hängt vom Bewußtsein ab. Für die einen ist es Solidarität, für manche auch Abenteuer, andere machen es wegen des Prestiges, für Medaillen und Urkunden, die man dann bekommt. Nicht zuletzt ist es eine wichtige Erfahrung. Die jungen Leute lernen zum Beispiel eine Epoche von Hunger und Elend kennen, die sie in Kuba nicht mehr erlebt haben. Davon, wie es unter dem Diktator Batista war, haben ihnen höchstens die Eltern erzählt. Hier in Angola erfahren sie zum ersten Mal, wie der Kolonialismus und der Kapitalismus wirken. Steuert die kubanische Regierung auf einen Abzug aus Angola hin? Davon wird seit langem geredet. Aber die Praxis zeigt, daß das schwierig ist. In Äthiopien kann man sich immer mehr auf Berater und vielleicht eine Brigade beschränken, aber nicht in Angola. Dann würde alles zusammenbrechen? Ich glaube, ja. Interview: Esperanza Martin

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