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I N T E R V I E W „Die Erfahrungen sind öfters ätzend“

■ Jo Leinen, Umweltminister im Saarland, sieht keine Alternativen zu seiner Arbeit in der Institution

taz: Du bist sind jetzt über zwei Jahren saarländischer Umweltminister. Du kommst aus einer Bewegung, dem BBU. Würdest du einen solchen Schritt in ein Regierungsamt noch einmal wagen? Jo Leinen: Die Alltagspraxis ist wesentlich brutaler und härter als die Theorie. Trotzdem: Die ökologische Erneuerung der Industriegesellschaft muß durchgesetzt werden. Dies geht nur, wenn in den Parlamenten und in den Regierungen die richtigen Leute sitzen, die an diesem Projekt arbeiten. Mit anderen Worten, du würdest diesen Schritt noch einmal machen? Die Erfahrungen sind öfters frustrierend und auch ätzend. Aber ich sehe keine Alternative zur Umsetzung der Ideen der Umweltbewegung. Deshalb würde ich diese Entscheidung noch mal treffen, und ich will diese Arbeit auch weitermachen. Wenn du noch einmal zum Umweltminister berufen werden würdest, was würdest du denn dann anders machen als bisher? Was machbar ist, hängt von vielen Rahmenbedingungen ab, den finanziellen Begebenheiten in einem Bundesland und den politischen Umständen. Es wäre sicherlich sehr gut, wenn die personelle und finanzielle Ausstattung gleich zu Anfang einer Regierungsübernahme verbessert werden könnten und nicht erst Zug um Zug im Laufe einer Legislaturperiode. In der letzten Zeit wächst die Unzufriedenheit unter den saarländischen Umweltverbänden über den Umweltminister Jo Leinen. Ihre Kritik: Es ist zuviel angekündigt und zu wenig umgesetzt worden. Kannst du dir diese Kritik erklären? Es wird immer ein Spannungsverhältnis zwischen Umweltverbänden und Umweltministerien geben. Die Forderungen der Verbände müssen weitergehen als die Realisierungschancen der Regierungsarbeit. Es gibt sicherlich eine sehr hohe Erwartungshaltung an die Saar–SPD und auch an meine Person. Vieles davon ist auf den Weg gebracht. Nicht alles ist bisher erledigt. Ich bin ganz sicher, daß im Laufe dieser Legislaturperiode Neuorientierungen und wesentliche Verbesserungen der Umweltsituation im Saarland durchgesetzt werden. Manches davon braucht Zeit, da Grundlagenarbeit geleistet werden mußte, da die alte Regierung kaum etwas Brauchbares hinterlassen hat. Wo gibt es denn erledigte Aufgaben? Wir haben den Bau von Kläranlagen wieder angekurbelt, die Abfallentsorgung wird in eine neue umweltverträgliche Richtung gedrängt, die Ausweisung von Naturschutzgebieten ist beschleunigt worden. Es bleibt die Tatsache, daß eine alte Industrieregion wie das Saarland nicht nur ein, zwei, sondern ein ganzes Dutzend großer Umweltprobleme gleichzeitig zu bewältigen hat und diese Aufgabe nicht in ein, zwei Jahren, sondern nur über ein bis zwei Legislaturperioden getan werden kann. Dir wird von verschiedener Seite nachgesagt, daß du selbst viel zu wenig Durchsetzungskraft im Ministerium hättest, dir die notwendige Brutalität fehlen würde, die zum Umsetzen von neuen Ideen notwendig sei. Das macht sich nach Ansicht deiner Kritiker vor allem bei Personalfragen bemerkbar. Du könntest dich nicht schnell genug entscheiden, heißt es? Das ist Quatsch. Ich habe ein Ministerium übernommen, das ein Bauministerium war und das mit den wenigen personellen Möglichkeiten zu einem Umweltministerium umgruppiert werden mußte. Neue Personen sind an entscheidende Stellen gerückt. Wir werden im Laufe dieses Jahres das Personalkarussel zum Abschluß bringen. Wenn man dich einmal mit deinem Ex–Kollegen Joschka Fischer und dessen Amtsübernahme vergleicht, dann hat dieser gleich schon mal drei seiner engsten politischen Mitstreiter in das Umweltressort mitgenommen, um so für den notwendigen Braintrust zu sorgen. Wo kann man denn Vergleichbares in deinem Ministerium finden? Joschka Fischer konnte 50 Personen mitnehmen und ich konnte fünf mitnehmen. Da ich selber von außerhalb des Saarlandes gekommen bin, habe ich mich entschlossen, diese fünf Personen aus dem Saarland zu nehmen. Der Gürtel ist bei uns wesentlich enger geschnallt als in einem reichen Land wie Hessen. Du warst Sprecher des BBU. Es verwundert doch ein bißchen, daß niemand aus dem BBU, den Öko–Instituten oder vergleichbaren Institutionen dir ins Saarland gefolgt ist. Es sind Leute aus dem BUND Saar und dem DBV Saar in dem saarländischen Umweltministerium gelandet. Wie gesagt, die personellen Rekrutierungen sind hier aus dem Lande selbst vorgenommen worden und nicht durch bundesweite Blutzufuhr.

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