: I N T E R V I E W „Begeht die gleichen Fehler nicht noch einmal!“
■ Randy Shilts, der Autor der amerikanischen Aids–Chronik „And the Band Plays On“, über die Fehler der amerikanischen Aids–Politik und die Lehren für Europa
taz: Spielte die „Band“ nur weiter, weil sie in den 80er Jahren in einer durch und durch konservativen Besetzung auftritt, oder hätte die Aids–Bekämpfung unter einer liberalen Regierung ähnlich ausgesehen? Shilts: Was die Reagan–Administration auszeichnete, war nicht nur ihre Besessenheit bei den Haushaltskürzungen zur Finanzierung der Aufrüstung, sondern auch die Tatsache, daß sie die erste Administration in der amerikanischen Geschichte war, die sich unter dem Einfluß der religiös–konservativen Bewegung einer Art Lackmus–Test der Schwulenfeindlichkeit unterziehen mußte. Vor 1980 war das Thema von Bürgerrechten für Schwule nie wichtig genug gewesen, um im nationalen Wahlkampf eine Rolle zu spielen. Erst mit dem zunehmenden Einfluß der religiösen Fundamentalisten, der wiedergeborenen Christen, sah sich Reagan gezwungen, den Forderungen dieser Bewegung entgegenzukommen, für die der Kampf um „Gay Rights“ eine furchtbare politische Entwicklung darstellte. Es ist interessant, daß der Entscheidungsprozeß bezüglich der Maßnahmen zum Umgang mit Aids nur selten den Präsidenten selbst erreichte. Die Bürokratie mußte meistens raten, was die Spitze der Administration eigentlich wollte. Bekannt war nur, daß die „moral majority“ einen erheblichen Einfluß auf die Politik der Administration ausübte. Trotz der nützlichen Zusammenarbeit homosexueller Gruppen mit staatlichen Institutionen in den USA, die hier zulande immer wieder als beispielhaft zitiert wird, üben Sie in ihrem Buch auch Kritik an der anfänglichen Reaktion der homosexuellen Gemeinde von San Francisco auf die Krankheit. Wann im Verlauf der Epidemie hat sich diese Reaktion zum Positiven verändert und warum? Ich denke in den Jahren 1984/85. Am Ende des Buches (Sommer 1985, R.P.) hat die Homosexuellen– Gemeinde zu einem angemessenen Umgang mit Aids gefunden. Was vorher geschah - und ich hoffe, ihnen in der Bundesrepublik bleibt dies erspart -, war, daß die Leute ihre Lektion über Aids auf brutalste Weise lernen mußten, wenn nämlich ihre Freunde einfach wegstarben. Mein Rat an die Homosexuellen–Gemeinde in Europa lautet einfach, begeht nicht die gleichen Fehler noch einmal! Was heißt das konkret, was die Infrastruktur der Homosexuellen–Gemeinde in Europa angeht? Es gibt da eine ganze Reihe von Faktoren, die in den USA einmalig waren. Die Badehäuser, die wilde Sex–Szene und ihre Kommerzialisierung gab es wohl nur in den USA, die Lehren daraus sind für Europa bedeutungslos. Auch ist es mein Eindruck, daß in der europäischen Homosexuellen–Gemeinde kaum jener zeitraubende Streit über „Safe Sex“ stattfindet, da scheint man ja bereits die Lehren aus unseren Erfahrungen gezogen zu haben. In Ihrem Buch sprechen Sie von einer „archetypischen Nebeneinanderstellung“: „Es bedurfte eines vierschrötigen Schauspielers mit dem heterosexuellen Image eines Rock Hudson, um Aids zum Gesprächsstoff zu machen. Es bedurfte eines ultra–konservativen Fundamentalisten mit dem Aussehen eines alttestamentarischen Propheten, um Amerika schließlich dazu zu bewegen, die Epidemie ernst zu nehmen.“ (Gemeint ist der „Surgeon General“, der Direktor des amerikanischen Gesundheitswesens, Dr. Koop, mit seinem offiziellen Aids–Report aus dem Jahre 1986, R.P.). Warum? Hier geht es um das öffentliche Image. Dies ist der gleiche Grund, warum es nur einem Konservativen wie Nixon möglich war, Beziehungen mit dem kommunistischen China aufzunehmen. Diese Leute müssen eine bestimmte Glaubwürdigkeit haben. Denn immer, wenn jemand eine emotionale Haltung gegenüber der Epidemie an den Tag legt, gerät er gleich in den Verdacht, es mit den Homosexuellen zu haben. Aber niemand konnte Surgeon General Dr. Koop dies vorwerfen, der ja aus der konservativsten Ecke des amerikanischen Denkens kommt. In Ihrem Buch zitieren Sie die Befürchtung des bekannten, aber vom wissenschaftlichen Establishment der USA diskreditierten Retrovirologen Dr. Donald Francis, daß Aids in den USA immer mehr zu einer Krankheit der verarmten Inner–City–Gemeinden werde, in denen Drogenabhängige den Virus an ihre Sexualpartner weitergeben. Das Londoner Panos Institut befürchtet eine ähnliche soziale Dimension der Epidemie in den USA und Afrika. Ist das der letzte Trend im gesellschaftlichen Verlauf der Krankheit? Das ist ganz sicher der Trend. Politisch gesehen entwickelt sich Aids in den USA nicht zur Pandämie in der heterosexuellen Mittelklasse. Die Krankheit breitet sich dagegen rasend schnell unter Drogenabhängigen und deren Sexualpartnern aus, und das sind meist Schwarze und Hispanics in den Innenstädten; in New York ist dies furchtbar. Ihre Chronik endet mit einem Epilog zur internationalen Aids–Konferenz vom Mai 1987 in Washington. Seitdem hat es vor wenigen Wochen in London eine weitere internationale Aids–Konferenz gegeben, auf der ein optimistischerer Ton vorherrschte. Heißt dies, daß die Regierungen dieser Welt endlich aufgewacht sind und daß die konservative Reaktion, die alle Bekämpfungsversuche zu ersticken drohte, zurückgedrängt worden ist? Ich bin nie von Konferenzen beeindruckt, nur von Aktionen. Es ist ja süß, wenn sich die Führer dieser Welt zusammenfinden, um die richtigen Dinge zu sagen, selbst das fällt ihnen ja oft schwer. Die Fakten sind, daß die Dritte Welt eine enorme Summe von Geldern braucht, um die Epidemie wirkungsvoll bekämpfen zu können. Dennoch erscheint mir Ihr Buch recht optimistisch, was die Entwicklung von Impfstoffen und Medikamenten gegen Aids anbetrifft. Ich bin im Augenblick weitaus optimistischer, was die medikamentöse Behandlung von Aids–Patienten angeht, als bei den Impfstoffen. Es gibt allerdings bei diesen Forschungen noch verschiedene Probleme, die vor allem aus dem wissenschaftlichen System herrühren, also vor allem politische Probleme sind. Es ist nicht so, daß alle Wissenschaftler gezielt an einem Sofort–Programm zur Entwicklung von Behandlungs– und Impfstoffen arbeiten, jedenfalls nicht in den USA. Und ich denke, daß in Europa auch nicht sehr viel Geld in die Forschung gesteckt wird, weil man von uns Amerikanern erwartet, daß wir demnächst mit einer Lösung aufwarten. Das heißt, die politische Führung hat bis heute nicht den Mut besessen, die Vorurteile, von denen Sie eingangs sprachen, aktiv zu bekämpfen. In den USA hat es uns nicht an den Ressourcen oder den wissenschaftlichen Köpfen gemangelt, um Aids angemessen zu bekämpfen, sondern nur am nationalen Willen. Diese Demonstration des nationalen Willens muß von der politischen Führung kommen, was bis heute nicht geschehen ist. Unglücklicherweise warten noch zuviele in der Welt darauf, daß wir diese Probleme lösen. Gibt es im gegenwärtigen Präsidentschaftswahlkampf Anzeichen dafür, daß sich diese Situation ändern könnte? Es ist bisher noch nicht zum Thema des Wahlkampfes geworden, weil Demokraten wie Republikaner glauben, daß sie mit der Thematisierung von Aids mehr zu verlieren als zu gewinnen haben. Der einzige Kandidat, der darüber spricht - der käme bestimmt auch in Bayern gut an -, ist Pat Robertson, der über mögliche Maßnahmen zur Quarantäne gesprochen hat. Der hat wahrscheinlich Reden aus München aus den frühen 30er Jahren gelesen. Das Gespräch führte Rolf Paasch
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