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I N T E R V I E W „Alle wollen den Wohlfahrtsstaat“

■ Lee Do–Chung, Vorsitzende der Frauenorganisation „Korea Womens Association United“ über die Diskussion innerhalb der außerparlamentarischen Opposition

taz: Vor knapp vier Wochen kündigte die Regierung ihr Acht–Punkte–Programm für die Demokratisierung Südkoreas an. Sind aus der Sicht der Volksorganisationen Fortschritte zu verzeichnen? Lee: Von Demokratisierung kann man wohl kaum sprechen. Nebenan protestieren Studenten gegen die Auflösung einer Kundgebung, auf der sie die Freilassung ihrer Kommilitonen forderten, durch die Polizei. Sie hatte das Treffen nach altbekannter Manier mit massivem Tränengaseinsatz aufgelöst und schlug die Leute mit Stöcken und Eisenstangen zusammen. Wir dürfen nicht einmal Demokratie fordern. Einige der politischen Gefangenen sind entlassen worden, andere nicht. Geht die Regierung nach irgendeinem erkennbaren Schema vor? Im wesentichen sind die entlassen worden, deren Fälle der Öffentlichkeit besonders bekannt sind und jene, die erst kurz zuvor verhaftet worden waren. Alle, die zu langjährigen Strafen verurteilt sind, sitzen noch. Wir kennen die Fälle, wir waren bei ihren Gerichtsverfahren dabei, und wir wissen, daß alle Anschuldigungen gegen sie konstruiert sind. Ein Sprecher der Oppositionspartei beschrieb die Rolle der NCDC in Zukunft damit, die RDP zu unterstützen und für faire Wahlen einzutreten. Sieht die Mehrheit in der NCDC das auch so? Wir haben völlig unterschiedliche Aufgaben. NCDC kämpft für eine bessere Gesellschaft, die RDP um Wählerstimmen. Daraus entstehen natürlich Interessenkonflikte, aber im Moment ist die Partei sehr vorsichtig, um nicht mit uns zu kollidieren. Wir unsererseits tun unser Bestes, um unsere Forderungen bei der RDP unterzubringen. Nun zur Konsensfindung innerhalb der NCDC. Einige Studenten– und Arbeiterorganisationen sehen keinen wesentlichen Unterschied zwischen der derzeitigen Regierung und der liberal–konservativen Oppositionspartei. Die Mehrheit ist aber der Ansicht, daß wir auf jeden Fall zuerst den ultrarechten Militärblock von der Macht vertreiben müssen. Danach können wir immer noch die Gründung der sozialistischen - oder wie auch immer betitelten - Partei anpeilen, die für einen sozialen Wohlfahrtsstaat eintritt, wie ihn 90 Prozent der Koreaner haben wollen. Wen würde die außerparlamentarische Opposition lieber als Präsidentschaftskandidaten sehen, Kim Dae Jung oder Kim Young Sam? Wenn die beiden sich einvernehmlich einigen, akzeptieren wir das Ergebnis, wie es auch sei. Wenn wir entscheiden müssen, sind wir für Kim Dae Jung und zwar aus folgenden Gründen: Es bedeutet wahrscheinlich die einzige Möglichkeit einer Wiedergutmachung für die Bevölkerung von Kwangju, seiner Heimatstadt. Eine der Folgen des Massakers von 1980 war ja der Versuch der Regierung, Kim Dae Jung als Politiker loszuwerden. Der zweite Gesichtspunkt ist der der nationalen Harmonie: Die politischen Führer der letzten 27 Jahre kamen immer aus der Kyonsang–do–Provinz, aus der auch Kim Young Sam kommt. Der dritte Grund: Kim Dae Jung hat mehrmals harte Zeiten durchlebt, und er ist immer gestärkt aus ihnen hervorgegangen. Eine der provokantesten Forderungen ist die nach Wiedereinstellung aller entlassenen Arbeiter. Wie soll das verwirklicht werden? Alle fordern es, aber keiner weiß, wie das vonstatten gehen soll. Wenn die betroffenen Firmen nicht neue Unternehmen aufmachen. In einigen Betrieben wurden ja Hunderte von Arbeitern wegen politischer Aktivitäten entlassen, von den 130 gefeuerten Journalisten der Tageszeitung Dong a– Jibo ganz zu schweigen. Die meisten von ihnen haben natürlich längst einen neuen Job. Die Forderung ist im Moment einfach ein Mittel, um Druck auszuüben. Ihre Organisation kümmert sich nicht nur um Frauenprobleme, sondern um Diskriminierung und Verletzung der Menschenrechte aller Art. Ist dazu eine Frauenorganisation nötig? Ich war früher im Menschenrechtskomitee des nationalen Kirchenrats, aber es war dort unmöglich, über die Diskriminierung von Frauen zu sprechen. Habe ich zum Beispiel über das Problem der Prostitution auf den US–Stützpunkten geredet, haben die Männer in den Führungspositionen sich einfach vor Lachen ausgeschüttet. Und selbst bei uns .. heute morgen habe ich zum Beispiel festgestellt, daß unsere progressiven Rechtsanwälte vom Verband der Strafverteidiger im NCDC den Satz über die Abschaffung der Frauendiskriminierung einfach aus dem Verfassungsentwurf gestrichen haben. Aber immerhin werden wir innerhalb der Opposition inzwischen um unsere Meinung gefragt.

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