Hype um US-Fernsehserien: Bling-Bling fürs Bürgertum
Das Feuilleton tut so, als hätte erst der US-Sender HBO den Anspruch ins Fernsehen gebracht. Falsch! Die wahre Königin des Intellektuellen-TV heißt „Buffy“.
Zeit mit Fernsehserien zu verbringen, das empfanden Menschen, die sich für kulturell gebildet halten, bis vor kurzem als eine Beschäftigung unter ihrer Würde. Einige gaben sich diesem Laster heimlich hin oder ironisch gebrochen als „guilty pleasure“. Keinesfalls aber diskutierten Akademiker die literarischen Qualitäten eines Produkts der US-Fernsehindustrie.
Doch neuerdings gilt exzessives Glotzen als ebenbürtig mit anderen Unterhaltungsformaten wie Theater und Literatur. Ganz selbstbewusst schreiben und reden die Seriensüchtigen über ihre neu entdeckte Leidenschaft. Weil sie sich absetzen wollen von denen, die vor ihnen Serien konsumierten – Teenager, andere Doofe –, behaupten sie, das Gekaufte oder Heruntergeladene erfülle nie zuvor erreichte Qualitätsstandards.
Für den Hörfunksender DRadioWissen gelten Serien inzwischen als kulturelles Statussymbol – anstelle von Romanlektüre. Ein Beispiel für dieses Distinktionsbemühen lieferte jüngst die taz. Ines Kappert beschrieb, dass die neuen Serien eben nicht über Identifikation mit den Figuren funktionierten, sondern wegen ihrer Komplexität und der Ambivalenz der Charaktere eine intellektuelle Herausforderung seien. Soll heißen: Während die anderen sich in Emotionen auflösen, behalten wir den klaren Kopf und denken nach.
Erfunden haben soll dieses Fernsehvergnügen für die gebildeten Stände der US-Fernsehsender Home Box Office (HBO). Der wirbt mit dem Slogan „It’s not TV, it’s HBO“ – und alle glauben es. Immer wieder wird, wie zuletzt in Kapperts Artikel, behauptet, die HBO-Serien „Sopranos“ (1999 bis 2007), „Six Feet Under“ (2001 bis 2005) und „The Wire“ (2002 bis 2008) hätten den Weg zur neuen, zur anspruchsvollen Fernsehserie geebnet. Gestern: Trash. Heute: Qualität.
Der neue Kanon
Dabei ist der entscheidende Punkt aber nicht, dass diejenigen, die jetzt die Einzigartigkeit der „Sopranos“ preisen, sie ignorierten, als vor zehn Jahren die ersten vier Staffeln auf dem deutschen Markt als DVDs erschienen. Und sie jetzt zum Kanon erklären, gemeinsam mit allem, was neu ist, einen halbwegs interessanten Plot hat und oft genug in den Feuilletons erwähnt wird. Ob jemand „Breaking Bad“ guckt oder doch lieber „Agents of S.H.I.E.L.D.“: Geschmackssache.
Viel interessanter dagegen ist es, einmal die Historie dieses sogenannten Qualitäts-TVs zu beleuchten. Viel früher beginnt nämlich die Geschichte der Fernsehserie, die ihr Potenzial nicht über die Länge einer Episode entfaltet, sondern über eine oder mehrere Staffeln.
Den Anfang machte David Lynchs Mystery-Thriller „Twin Peaks“ (1990 bis 1991). Während diese stark vom Krimi-Element („Whodunnit?“) lebt, geht es bei J. Michael Straczynskis Space-Saga „Babylon 5“ (1993 bis 1998) darum, was es bedeutet, ein Mensch zu sein – und die Ambivalenzen unserer Gesellschaft auszuhalten. Wer aber über die bizarren Perücken hinwegzusehen vermag, der darf sich an diplomatischen Verwicklungen erfreuen.
Explizit politisch wird es dann in der Arztserie „Emergency Room“ (1994 bis 2009) – die zu Unrecht als Soap geschmäht wird. Zumindest zu Beginn war „ER“ nur in Maßen konsumierbar, weil sie schmerzhaft ausstellte, wie das US-Gesundheitssystem Menschen krank macht und tötet. Auch filmisch war „ER“ innovativ: Minutenlange Steadicam-Aufnahmen machten die Hektik einer Notaufnahme körperlich spürbar.
Bis heute unerreichter Höhepunkt aber ist „Buffy, the Vampire Slayer“ (1997 bis 2003). Bereits beim Namen der titelgebenden Heldin gehen die Augenbrauen der Distinguierten hoch. Und der Inhalt erst: Blondine jagt Vampire. Doch wenn Qualität so definiert ist, dass eine Serie sowohl emotional als auch intellektuell ansprechen soll und dabei noch komisch ist – dann ist „Buffy“-Erfinder Joss Whedon der König der Qualitätsserie.
Der Sog von „Buffy“
Dass Whedon es wie kein Zweiter versteht, sein Publikum in 45 Minuten mit Erzählungen über unsere innere und äußere Welt zu fesseln, hat er mittlerweile gleich mehrfach bewiesen: Mit dem „Buffy“-Ableger „Angel“ und schließlich mit der viel zu früh abgesetzten Space-Western-Serie „Firefly“ und dem Zukunftsthriller „Dollhouse“. Einem breiten Kinopublikum wurde er im vergangenen Jahr mit der Verfilmung der Comic-Serie „The Avengers“ bekannt. Der Sog, den seine Debütserie „Buffy“ entfaltet, ist gar so groß, dass die impulsive und selbstgerechte Studienabbrecherin auch nach ihrem TV-Ende noch weiterlebt, in von Whedon und „Buffy“-Autoren geschriebenen Comics.
Obwohl Whedon in Interviews keinen Hehl aus seiner linken, feministischen und queerfreundlichen Haltung macht und sich diese auch in seinen Werken spiegelt, finden sich seine Fans in allen Lagern, Altersstufen, Schichten, sexuellen Orientierungen. Sie alle wissen wie die ehemalige Rachedämonin Anyanka: Es gibt nichts, was es nicht gibt. Dimensionen ohne Shrimps. Dimensionen mit nichts als Shrimps. Eine „Buffy“-Folge, in der nicht gesprochen wird. Eine, in der gesungen wird.
Dass Soldaten in Blogs und Leserbriefen ihre Liebe zu „Buffy“ bekunden, obwohl das Militär in der vierten Staffel und im Comic keine gute Figur macht, liegt daran, dass Whedon viele Fragen stellt, aber keine einfachen Antworten gibt. Okay, phallische Dämonen, die Frauen verschlingen, müssen sterben, aber viele Monster sind so ambivalent wie die menschlicheren HeldInnen.
Dabei nutzt Whedon das Monströse als Metapher, zum Beispiel für den Horror der Pubertät. Während die Produktionsfirma der Serie Teenager als Zielgruppe im Visier hatte, stellte sich heraus, dass sich davon auch Erwachsene angesprochen fühlen. Nicht nur wegen der zahlreichen popkulturellen Anspielungen. Sondern auch, weil Buffy und ihre Gang von Andersartigen – lesbisch, unmännlich, britisch, dämonisch – sie daran erinnern, welch einschneidendes Erlebnis das Erwachsenwerden ist. Und dass es ein Prozess ist, der nie aufhört.
Buffys Arsch? Nebensache
Zudem ist Buffy die erste weibliche TV-Heldin, die nicht über ihr Aussehen definiert wird, sondern über ihre Handlungen: Sie vermöbelt Vampire nicht, um ihren Knackarsch zu inszenieren, sondern weil sie mal wieder die Welt retten muss. Zwar gibt es weibliche Hauptfiguren auch in den neuen „Qualitätsserien“. Aber nur, wenn das Thema ganz offensichtlich Politik ist wie in der CIA-Agentenserie „Homeland“ oder der dänischen Politserie „Borgen“. Ernst genommen wird der Stoff mit weiblichen Hauptfiguren nur, wenn er hart genug ist.
Wenn Vorläufer der vermeintlich innovativen HBO-Serien geschmäht werden, geht es auch um Abgrenzung vom Weibischen der Genreserien: Arztserien sind aus Sicht des studierten Serienguckers etwas für Hausfrauen, Fantasy etwas für Teenagermädchen, und Sciencefiction gucken Nerds, also unmännliche Männer, die keine abkriegen.
So erklärt sich auch, warum weder „Battlestar Galactica“ (Mensch gegen Roboter) noch die Fantasyserie „True Blood“ (Vampire haben besseren Sex) zum Kanon gezählt wird. Obwohl von „True Blood“-Macher Alan Ball auch „Six Feet Under“ stammt: Das Familienepos im Bestattungsinstitut gilt als Buddenbrooks unter den TV-Serien.
Und schließlich muss die Serie für das bildungsbürgerliche TV-Publikum aussehen, als wäre sie wahnsinnig teuer gewesen. Einfach, um eine gewisse Wertigkeit zu suggerieren. Die Serie aus dem Manufactum-Katalog sozusagen. Auf keinen Fall aber darf es dabei zu sehr glitzern oder die SchauspielerInnen zu schön sein. Das steht unter dem Verdacht, „unrealistisch“ zu sein und, beinahe noch schlimmer, nicht ernsthaft genug.
Warum all diese Abgrenzung? Weil es so scheinen muss, als suche man sich mit spitzen Fingern das heraus, was den eigenen Ansprüchen – und die sind selbstverständlich gehoben – genügt. Konsumiert wird dann auf DVD. Denn nur die ungebildete Couch-Potato zieht sich alles rein, was ihr die Sender in schlechter Übersetzung anbieten. Dabei wollen alle dasselbe: gut unterhalten werden. In den Worten von Joss Whedon: „It’s TV. Get over it.“ – Es ist Fernsehen. Kommt damit klar.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?