: Hustensaft nur noch vom freien Unternehmer?
■ Die Zukunft der Ostberliner Ärzte ZURSACHE
Wenn ein Westberliner Husten hat, geht er zu einem niedergelassenen Arzt. Wird ein Ostler von Grippe gequält, sucht er eine Poliklinik auf. Was den unbedarften Westler eher an Polio-Schluckimpfung oder Krankenhausbetten denken läßt, ist im Ostteil Berlins die normale Regeleinrichtung, eine Einrichtung zur ambulanten Krankenversorgung. In Polikliniken und den kleineren Ambulatorien arbeiten vom Staat bezahlte Ärzte in großen Gemeinschaftspraxen zusammen. Sie decken so die etwa 95 Prozent der Leistungen im ambulanten Gesundheitswesen ab. Private Praxen existieren nur vereinzelt, in Ost-Berlin zur Zeit rund fünfzig. Dem gegenüber steht im Westen ein Heer von Tausenden von niedergelassenen Medizinern, die als freie Unternehmer meist in Einzelpraxen arbeiten. Im Gegensatz zu ihren Kollegen in den Polikliniken können sie die erbrachten Leistungen individuell abrechnen und entsprechend auch Gewinne machen. Für Krankenkassen und Patienten mitunter ein kostspieliges Unterfangen: Zum Standard jeder Praxis gehört mittlerweile ein technisches Zubehör vom Labor bis zum EKG, von den Ärzten auch fleißig genutzt, um die Anschaffungskosten wieder hereinzuholen. Da wird dann auch schon mal ein Knöchel zuviel geröngt oder eine Laboruntersuchung zusätzlich angekreuzt. In den Polikliniken dagegen sind die vorhandenen Einrichtungen meist mehr als ausgelastet. Freiwillig sind die DDR-Ärzte allerdings nicht zu Poliklinik-Angestellten geworden.
Vor allem in den großen und mittleren Polikliniken befinden sich verschiedenste Fachrichtungen unter einem Dach. Die Patienten ersparen sich lange Wege, möglich sind Prävention, Diagnostik und Therapie am gleichen Ort. Im Zweifelsfall, so der große Vorteil, können die Ärzte relativ unkompliziert ihre Kollegen konsultieren. Im Normalfall bleibt der Arzt, der den Patienten als erstes untersucht, auch dessen persönlicher Hausarzt.
Die Polikliniken stehen jedoch auch im Kreuzfeuer herber Kritik. Als »anonyme Gesundheitsfabriken« bezeichnete sie der Arzt und Mitbegründer des DDR-Virchow-Bundes, Harald Mau. Volle Wartehallen, ein unpersönliches Verhältnis zwischen Arzt und Patient, lange Schlangen vor der Röntgenabteilung gehören genauso zum alltäglichen Bild wie der vielerorts zitierte Verwaltungswasserkopf. Laut Einigungsvertrag sind nun jedoch kommunale, staatliche und freigemeinnützige Polikliniken und Ambulatorien nur noch »bis zum 31. Dezember 1995 zur ambulanten Versorgung zugelassen«. Sie müssen sich nach anderen Trägerschaften umsehen: Innerhalb von zwei Jahren, so hatte der Ostberliner Gesundheitsstadtrat Zippel kürzlich vollmundig verkündet, könnten sie sich in selbstfinanzierte Berliner Gesundheitszentren verwandeln, für das nächste Jahr werden sie erstmal noch in den Berliner Haushalt aufgenommen. Maßgeblicher Träger der ambulanten Versorgung aber soll der freiberuflich tätige Arzt sein — also der freie Unternehmer — der dann in seiner reichlich ausgestatteten Einzelpraxis mit für Kostenexplosionen im Gesundheitswesen sorgen wird. Der Wille, auch von der DDR lernen zu wollen, hätte sich hier unter Beweis stellen lassen können: Mit einer Festlegung etwa auf einen bestimmten Prozentsatz von Gemeinschaftspraxen, die zwar nicht unbedingt staatlich finanziert werden, aber dennoch kostengünstiger und für den Patienten effektiver arbeiten. maz
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