: Hungertod droht
UMWELTZERSTÖRUNG Temperaturerhöhung und Ausbleichung: Die Zukunft des Riffs ist gefährdet
CANBERRA taz | Das Barrier Reef ist seit Jahrzehnten ein Muss für Millionen von Besucherinnen und Besuchern Australiens, und das mit gutem Grund. Mit über 2.000 Kilometer Länge und einer Fläche von 345.000 Quadratkilometern gilt es als der größte lebende Organismus auf dem Planeten. Doch Flora und Fauna in diesem gigantischen natürlichen Wunder sind höchst gefährdet – nicht nur wegen der Unvorsichtigkeit der Kapitäne internationaler Frachtschiffe.
Das Riff ist Heimat einer einzigartigen Vielfalt von Lebewesen. 4.000 verschiedene Muschelarten, 1.500 Fisch-Spezies, tausende von Schwämmen und Schalentieren leben im und am Riff. Basis für das gesamte Ökosystem ist die Korallenstruktur, Resultat des Lebens und Sterbens von 400 verschiedenen Korallenarten, die über Millionen Jahre das bis zu 500 Meter dicke Riff aufgebaut haben. Korallenpolypen leben in einer faszinierenden Symbiose mit mikroskopisch kleinen Meerespflanzen, die sie in ihrem Gewebe beherbergen. Diese Pflanzen, so genannte Zooxanthellae, geben fotosynthetisch produzierten Zucker an die Korallen ab, von denen sie im Gegenzug Nährstoffe beziehen.
Um die Zukunft dieser Lebensgemeinschaft steht es schlecht. Das sagen Meeresforscher schon seit Jahren. Fast 60 Prozent des Meeres-Naturparks, zu dem der größte Teil des Barrier Reef gehört, sind in unterschiedlichem Ausmaß von Ausbleichung betroffen. Zur Ausbleichung kommt es, wenn Korallen gestresst werden: durch Umweltverschmutzung etwa oder durch zu hohe Wassertemperaturen. Dann wird der Ernährungszyklus unterbrochen – der Koralle droht der Hungertod. Wenn nur kleine Teile eines Riffes von Ausbleichung betroffen sind, kann es sich in der Regel wieder erholen, erklärt Paul Marshall von der Nationalparkbehörde. Nicht aber, wenn die Stressfaktoren anhalten, immer rascher wiederkehren und sich auf immer weitere Gebiete ausdehnen.
Über die Ursachen der Schwankungen in den Meerestemperaturen besteht auch in wissenschaftlichen Kreisen keine Einigkeit. Viele Forscher sehen aber einen Zusammenhang zwischen Treibhausgasen, Klimaveränderung, Temperaturerhöhungen und der Ausbleichung von Korallen. Eindeutig einen negativen Einfluss auf die Gesundheit des Barrier Reef hat die Landwirtschaft, die gerade in den südlichen Küstengebieten sehr intensiv ist. Tausende von Tonnen Dünger fließen jedes Jahr ins Meer. Doch obwohl das Riff zum Weltkulturerbe der Vereinten Nationen gehört, unternimmt die australische Regierung wenig, um seine Zerstörung einzudämmen. Das sagen Kritiker wie die australische Umweltorganisation The Wilderness Society. Auch die Bedeutung, die das Riff für die australische Tourismusindustrie und damit die Gesamtwirtschaft hat, scheint Canberra nicht im erhofften Ausmaß anzuerkennen. Stattdessen erlaubt die Regierung weiterhin die kommerzielle Nutzung von Fisch- und Krustentierbeständen. Selbst die Förderung von Ölvorkommen wurde schon diskutiert. URS WÄLTERLIN