piwik no script img

Urdrüs wahre KolumneHundert Jahre warten!

Wie sehr die Zeiten der roten Kaderschmiede Vergangenheit sind, belegt nicht nur die Abteilung Tierquälerei an der Uni Bremen: Ausgerechnet hier, wo einst Klaus Traube als Staatsfeind Nummer 1 der Atomkraft-Republik sein technologiekritisches Energie-Institut gründete, wurde als Nachfolger der Oldenburger Prof. Wolfgang Pfaffenberger zum Nachfolger berufen, der mit seinen Gefälligkeitsgutachten schon lange für die deutsche Elektrizitätswirtschaft anschafft. Jetzt wird er im neuen Job von seinen Freiern direkt bezahlt: Eon, swb, Ruhrgas und Essent teilen sich die Kosten für die Stiftungsprofessur: Wer wundert sich da noch, dass bei seiner Inthronisation hemmungslos gegen Windkraft gepöbelt wurde?

Jetzt fiel der Hammer! Aus die Maus, raus aus dem Job! Bauabteilungsleiter Professor Gottfried Zantke, klang das nicht nach sozialdemokratischem Urgestein? Nach Fleisch vom Fleisch, nach Neue Heimat, Konsum, Volksfürsorge? Ei.ne SPD, die solch Personal als Bauernopfer in die Tonne tritt, kann in der Tat nur noch als siamesischer Zwilling der Union durchs Leben krauchen: An der Blutvergiftung des einen wird der andere krepieren, doch da weit und breit keine Alternative zu erkennen ist, wird das gemeinsame Reihengrab zum Regierungssitz.

Schon Salinger wusste in seinem Pubertätsepos „Der Fänger im Roggen“ mit messerscharfer Klarheit zu benennen, dass sich die Sportidioten an jeder Schule dieser Welt immer ganz ganz schnell in einer Ecke zusammenfinden. Entsprechend ist der Status der Sportjournalisten in den Redaktionen und so umso wichtiger, dass auch für diese gedemütigten Kreaturen Auszeichnungen ausgelobt werden! Den Bremer Literaturpreis der Woche für den Bereich Leibesübungen verleihen wir dem Weserreport-Schriftleiter Robert Lürssen nicht nur für die Bildunterschrift „Vielleicht gibt es ja Hilfe von höherer Stelle, aber vermutlich muss sich Werder am eigenen Schopf aus dem emotionalen Tal ziehen“, sondern vor allem für diese Sätze: „Das gierige graue Mittelfeld-Monster hat schon den Schlund weit aufgerissen, um die Bremer zu verschlingen...Der FCK-Coach wechselte zuletzt Spieler und System in einem Tempo, wie andere Trainer die Unterwäsche. Thomas Schaaf ist es egal: Wir müssen sowieso unser Ding machen.“ Worte so wahr wie vom Zentralkomitee der Assoziation deutscher Fußballdeppen in den Rasen gemeißelt und von Olli Kahn persönlich redigiert. Der Robert, der traut sich was!

Man möchte manchmal gern wissen, in welcher Welt die Familie Grünspecht lebt, die jetzt im trauten Einvernehmen mit Industrie und medialen Verarschungsunternehmen die digitalisierte Glotze fordert und dann treuherzig anmahnt, Sozialhilfeempfänger dürften nicht auf den Kosten von 200 Euro für die notwendigen Decoder sitzen bleiben. Ja weiß man denn beim Bündnis 90 nicht, dass digitalisierte Funksysteme Strahlen abgeben, die zur völligen Gehirnerweichung führen? Außerdem gewinnen auf diesem Weg Außerirdische die Kontrolle über uns, werden Konten und andere Bestandteile unserer Intimsphäre ausgekundschaftet und manipuliert und rechtsdrehende Jogurtkulturen umgeformt, bis unsere Immunität aufgehoben ist. Statt solche schlichten Wahrheiten zu verkünden, machense einfach mit und das alles bloß, um immer gut im Bild zu bleiben... Pfui Deibel noch eins, dann doch lieber Pornos gucken, mit Tieren, Runkelrüben und vom Herrenausstatter gesponsert – aber bitte nur per Satellit aus der Venus- Umdrehung!

Soviel Aufregung um derlei Nichtigkeiten – und am Ende kein Wort über die Ungeheuerlichkeit, dass die Leonidenschwärme fast unsichtbar an uns vorbeizogen bzw. sich über uns im All verloren. Erst in hundert Jahren gibt‘s ein Wiedersehen – aber was wird dann mit uns sein? Mit dem Bauabschnitt II im Viertel, mit dem Space-Park und mit dem Getränkemarkt an der Ecke? Konnte am Ende der Goldene Hickel-Plan Bremen noch vor dem Untergang retten oder läuft alles zu auf ein Oberzentrum Delmenhorst?

Fragt kurz vor der Abfahrt nach Böhmen nicht gänzlich frei von arger Skepsis gegenüber allen Dingen, auf die wir Lebenden hundert Jahre warten müssen

Ulrich „Kuck in die Luft“

Reineking

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen