: Humanität nur für ein halbes Jahr
■ Die Bundesregierung wird ihre Hilfe für die kurdischen Flüchtlinge intensivieren allerdings in der Türkei und im Iran. Wenn es darum geht, einen bundes-einheitlichen Abschiebestopp zugunsten kurdischer..
Humanität nur für ein halbes Jahr Die Bundesregierung wird ihre Hilfe für die kurdischen Flüchtlinge intensivieren — allerdings in der Türkei und im Iran. Wenn es darum geht, einen bundeseinheitlichen Abschiebestopp zugunsten kurdischer Flüchtlinge zustandezubringen — wie ihn zur Zeit einige Bundesländer praktizieren —, sieht das Bundesinnenministerium „keinen Handlungsbedarf“.
Wir können das politische Problem Kurdistan natürlich nicht allein durch die Aufnahme von Flüchtlingen lösen“, sagt der grüne Landtagsabgeodnete Hannes Kempmann, „aber wo wir in Einzelfällen helfen können, muß die rot-grüne Regierung in Niedersachsen dies auch tun.“
Seit die Bilder von Flüchtlingstrecks der Kurden über die Bildschirme laufen, steht im Ausländerreferat der Grünen-Landtagsfraktion in Hannover das Telefon nicht mehr still. Immer wieder melden sich Angehörige von kurdischen Flüchtlingen im Irak und bitten um Hilfe, haben Angst um das Leben ihrer Verwandten auf der Flucht.
Auf diesem Hintergrund hat Kempmann gemeinsam mit dem SPD-Abgeordneten Heiner Bartling jetzt nun einen Antrag formuliert, den SPD und Grüne in der kommenden Wochen in den Landtag einbringen werden: Darin wird die rot- grüne Landesregierung aufgefordert, „unter Berücksichtigung der außergewöhnlichen und der damit verbundenen Härten“ zumindest den Verwandten von in Niedersachsen lebenden Kurden nach Paragraph 22 des Ausländergesetzes eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.
„Auf dem Weg der Familienzusammenführung“ ist derzeit die einzige rechtliche Möglichkeit, im Alleingang kurdische Flüchtlinge aus dem Irak aufzunehmen, die das neue Ausländerrecht den Ländern gegenwärtig noch läßt. „Wir können jetzt doch nicht laufend die Türkei und den Iran auffordern, die Grenzen für kurdische Flüchtlinge zu öffnen und selbst die Grenzen völlig dichtmachen“, begründet Kempmann die rot-grüne Initiative.
Selbst die Liberalen im niedersächsischen Landtag haben signalisiert, daß sie der Initiative zur Aufnahme von Familienangehörigen aus Kurdistan zustimmen wird.
Niedersachsen Vorreiter beim Abschiebestopp
Auch wenn das Innenministerium in Hannover den rot-grünen Antrag erst rechtlich prüfen will — Niedersachsen wäre damit nicht zum ersten Mal Vorreiter, wenn es um die Interessen kurdischer Flüchtlinge geht. Bereits Anfang des Jahres, im Vorfeld des Golfkrieges, hatte Niedersachsen einen faktischen Abschiebestopp für Kurden aus der Türkei verhängt.
Das Landeskriminalamt wurde von oben angewiesen, solche Abschiebungen einfach nicht mehr zu vollziehen. Hintergrund waren damals die Vertreibungen, die massenhafte Fluchtbewegung von Kurden im Osten des türkischen Staatsgebiets.
Vergeblich versuchte damals Niedersachsen allerdings einen bundesweiten Abschiebestopp für diese Kurden durchzusetzen. Auf einer Besprechung der Ausländerreferenten des Bundes und der Länder Ende Januar wollten noch nicht einmal die SPD-regierten Länder diese Forderung unterstützen. Eine Woche später verkündete dann Niedersachsen von sich aus einen sechsmonatigen Abschiebestopp für alle vom Golfkrieg bedrohten Länder, also für Iran, Kuwait, Jordanien, Syrien, Saudi Arabien, die Golfemirate und den kurdischen Teil der Türkei, östlich der Linie Samsun-Adana. Nur die Bundesländer Saarland und Bremen zogen damals bei diesem Abschiebestopp mit. Als man sich dann aber am 21. März noch einmal mit den übrigen SPD-regierten Ländern zusammensetzte, zeigten sich diese in Sachen Abschiebestopp für Kurden wiederum zugeknöpft.
Andere Bundesländer ziehen nach
Wegen des Kriegsendes will Niedersachsen in den nächsten Tagen den Abschiebestopp jetzt für Saudi-Arabien, die Golfemirate und Kuwait wieder aufheben, für den Irak und den kurdischen Teil der Türkei soll er aber in jedem Fall aufrechterhalten bleiben. „Bei dem Abschiebestopp für Kurden zieht so langsam ein Land nach dem anderen nach“, sagt der Pressesprecher des Innenministeriums in Hannover. In dieser Woche haben auch Hessen, Bayern und Nordrhein-Westfalen die Abschiebung von kurdischen Flüchtlingen endlich eingestellt.
Auf der nächsten Innenministerkonferenz am 11. Mai wird über eine bundeseinheitliche Regelung zugunsten der kurdischen Flüchtlinge zumindest debattiert werden. Nach dem neuen Ausländergesetz können die Länder die Abschiebung höchstens für nur sechs Monate aussetzen. Für jeden längerdauernden Abschiebestopp ist die Zustimmung des Bundes und aller Länder erforderlich.
Beim Bund allerdings besteht gegenwärtig wenig Interesse, Flüchtlingen aus Kurdistan den Aufenthalt in der Bundesrepublik zu sichern. „Da warten wir mal ab“, sagt der Sprecher des Bundesinnenministeriums. Bisher sei diese Frage noch Sache der Länder, da die sechs Monate ja noch nicht abgelaufen seien. „Das sehen Sie doch an der Geschichte mit den Albanern. Erst ist große Aufregung und heute redet kein Mensch mehr davon. In jedem Fall sieht der Bund gegenwärtig in der Frage der Kurden keinerlei Handlungsbedarf“, lautet die lapidare Auskunft aus Bonn. Jürgen Voges
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