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Hürden für Behinderte„Ausreden sind das Problem“

Internationaler Tag der Menschen mit Behinderung: Raul Krauthausen lobt die Berliner Verkehrsbetriebe und kritisiert die Ausflüchte vieler Café-Betreiber.

Wie, bitte, geht's da runter? Bild: dpa
Interview von Sebastian Heiser

taz: Herr Krauthausen, Sie hatten die Idee zu Wheelmap, einer offenen Onlinekarte für Barrierefreiheit. Wie viele Läden und Einrichtungen in Berlin sind nicht für Rollstuhlfahrer zugänglich?

Raul Krauthausen: Das kann man nicht sagen. Wheelmap ist nicht repräsentativ. Jeder kann dazu beitragen, und es werden vor allem Orte eingetragen, die zugänglich sind.

Und wie ist Ihr persönlicher Eindruck, wenn Sie in der Stadt unterwegs sind?

Das hängt vom Stadtteil ab. Ich wohne in Kreuzberg, da sind die meisten Läden nicht rollstuhlgerecht, weil sie eine oder zwei Stufen am Eingang haben. Das Problem sind einerseits die vielen Altbauten, aber auch die Ausreden. Es ist eigentlich keine schwierige Sache, dort eine Rampe hinzustellen. Aber die Betreiber sagen dann, dass sie nicht wissen, wie man eine Rampe anlegen soll, oder was denn ist, wenn die Leute darüber stolpern. Die Deutschen neigen dazu, immer Ausreden zu haben. Über Fahrradständer kann man schließlich auch stolpern, und sie werden trotzdem aufgestellt.

Was kostet eigentlich so eine Rampe?

Wir verkaufen sie für 180 Euro. Sie wird nur aufgeklappt, wenn sie gebraucht wird, sonst steht sie zusammengeklappt an der Wand. Da braucht sie nicht mehr Platz als ein Zeitungsständer.

Und wo klappt es besser als in Kreuzberg?

Ich habe vorher in Schöneberg gewohnt, da fand ich es besser. Die Gebäude sind genauso alt, aber mehr von ihnen sind mit Rampen ausgestattet.

Im Interview: Raul Krauthausen

Der ausgebildete Telefonseelsorger und studierte Kommunikationswirt Raul Krauthausen ist Gründer und Vorsitzender des gemeinnützigen Vereins Sozialhelden, der unter anderem die Webseite wheelmap.org betreibt. Dort sind nach Angaben des Vereins weltweit über 450.000 Cafés, Bibliotheken, Schwimmbäder und viele weitere öffentlich zugängliche Orte erfasst. Da das Projekt in Berlin gegründet wurde, ist das Netz der Eintragungen hier besonders dicht. Es gibt drei Kategorien: voll rollstuhlgerecht, nicht rollstuhlgerecht und teilweise rollstuhlgerecht für Orte mit einer Stufe. Die Seite eignet sich nicht nur für Rollstuhlfahrer, sondern auch für Rollatornutzer und Kinderwagenschieber. 2013 erhielt Krauthausen für sein Engagement das Bundesverdienstkreuz. (hei)

Was ist die Ursache für diesen Unterschied?

Ich weiß nicht. Wenn ein Laden umfunktioniert wird, zum Beispiel von einem Frisör zu einem Café, dann muss er barrierefrei umgebaut werden. Vielleicht werden in Schöneberg mehr Läden umfunktioniert. Oder dort wird von den Behörden besser kontrolliert.

Und wie gut kommt man als Rollstuhlfahrer im öffentlichen Nahverkehr in Berlin voran?

Relativ gut. Alle Busse sind rollstuhlgerecht, ein Großteil der U-Bahnen und S-Bahnhöfe haben Aufzüge, aber nicht alle. Und wenn mal einer kaputt ist, steht man dumm da. Aber die BVG und die S-Bahn machen eine Menge und rüsten Aufzüge nach. Auch die neuen Straßenbahnen sind zugänglich. Die Verkehrsunternehmen haben das Ziel, im nächsten Jahrzehnt komplett barrierefrei zu werden.

Die Daten, die in der Wheelmap eingetragen werden, sind frei verfügbar. Werden die Daten auch von anderen Anwendern genutzt?

Das würden wir uns wünschen. Von der Lizenz her ist es erlaubt. Aber technisch ist die Verknüpfung eine Herausforderung, daran arbeiten wir gerade.

Wie viele Menschen arbeiten an der Wheelmap mit?

Das kann man nicht sagen. Man muss sich nicht registrieren, um zu markieren, ob ein Ort barrierefrei zugänglich ist oder nicht. Nur um ein Foto oder Kommentar hinzuzufügen. muss man sich anmelden.

Und wie viele hauptamtliche Mitarbeiter gibt es?

An der Anwendung inklusive Kommunikation, Präsentation und Design arbeiten vier Leute.

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4 Kommentare

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  • Nach Ansicht des Instituts für Menschenrechte sollte man besser den Ausdruck "Menschen mit Behinderungen" als "Behinderte" benutzen. Das wurde in mehreren Treffen durch die Menschen mit Behinderungen selbst bestätigt.

     

    Denn das Wort behindert wird in unserem Land oft als ein Schimpfwort benutzt:

     

    "Bist du behindert?"

     

    Viele Menschen mit Behinderungen wollen, dass man mit Ihnen, wie mit den Menschen ohne Behinderungen spricht und umgeht.

     

    In einigen öffentlichen Gesprächen wurde hat es sich herausgestellt, dass viele Menschen mit Behinderungen sich genau wie Obdachlose Menschen Flüchtlinge, Arbeitslose Menschen oder Menschen in Alters- und Pflegeheimen benachteilt und diskriminiert fühlen. Sie werden einfach oft benachteiligt und diskriminiert.

     

    Zum Beispiel in Bewerbunggsverfahren durch die einzustellenden Unternehmen. Das Gleichbehandlungsgesetz wird dabei sehr leicht ausgehebelt.

  • "Hürden für Behinderte" gibt es auch bei Vermietern.

    Wer langjährig in seiner Wohnung und Umgebung lebt und irgendwann gesundheitliche Probleme bekommt oder im Alter das Treppensteigen anstrengt, braucht die öffentliche Unterstützung und Aufmerksamkeit. Vermieter von Wohnungen in 6-Geschossern sollten einen Außenaufzug nachrüsten und/oder in 10/11-geschossigen Häusern einen ebenerdigen Zugang über die Hürde von zig-Treppenstufen, organisieren. Gutes Beispiel der Nachrüstung ist die Wohnungsbaugenossenschaft

    "Neues Berlin". Die landeseigene Wohnungsgesellschaft Howoge sollte nachrüsten.

  • Meines Wissens gibt es in Berlin schon seit guten 15 Jahren ein Projekt, das die Stadt aus der Perspektive der Zugänglichkeit des öffentlichen Raumes für mobilitätseingeschränkte Menschen beschreibt. Unter http://www.mobidat.net lassen sich Restaurants, Kinos, Hotels etc. suchen und finden. Vor allem sind dort Kriterien aufgelistet, die einem Objekt z. B. „gute rollstuhlgerechte Zugänglichkeit“ attestieren. Es geht also deutlich über subjektive Erfahrungen Einzelner hinaus.

  • Ich arbeite an OSM und damit indirekt auch für wheelmap. Ich habe mir schon vor längerem angewöhnt bei der Beschreibung eines Geschäftes auch auf die Rollstuhltauglichkeit zu achten. als Nichtbehinderter fällt es mir jedeoch teilweise schwer das zu beurteilen (ist eine kleine Stufe von 5 cm überwindbar? wird in einem Restaurant eine behindertengerechte Toilette vorrausgesetz um vollständig behindertengerecht zu sein? ). So verwende ich das Tag "wheelchair" immer noch zu häufig mit dem Attribut "partial", anstatt ein ordentliches "yes" or "no" eintragen zu können, was vermutlich hilfreicher wäre.

    Gibt es irgendwo eine Art "Checkliste", die man in einem Restaurant oder einem Geschäft abarbeiten kann (keine Stufen allein ist es ja wohl nicht)? Habe bereits nach derartigem gesucht, bin aber noch nicht zufriedenstellend fündig geworden.

    Für Hinweise dankt -CI-

     

    PS: ist eure karte neu? Hab ich noch gar nicht gesehen, sieht gut aus. "Meine" Daten sind bereits drin, aber ich sehe trotzdem noch einige graue Marker in meiner Gegend. Die Orte per häkchen taggen zu können, ist eine klasse Sache, da kann man ja schnell von Unterwegs machen, da muss ich ja gar nicht lang in OSM rumtaggen. Ich gehe fast schon davon aus, das bei euch gesammelte Daten an OSM auch zurückfliessen?!

    Ich werde die Tage mal den ein ein oder anderen Laden in meiner Gegend genauer untersuchen um das hässliche grau zu beseitigen (soweit mein "Mapper-Arm" eben reicht. ;)

     

    Viel Erfolg weiterhin!