Hüppe (CDU) über Rechte von Behinderten: "Eltern sollten nicht aufgeben!"
Die neue UN-Konvention bietet den Eltern behinderter Kinder bald Möglichkeiten zur Klage gegen Schulbehörden. Das verbessert die Chancen, sich den Weg in ganz normale Schulen zu erkämpfen.
taz: Herr Hüppe, morgen werden Sie mit ihren Kollegen im Bundestag die UN-Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderungen verabschieden. Soll man sich nun eigentlich freuen - oder ärgern?
HUBERT HÜPPE, 52, ist Bundestagsabgeordneter und behindertenpolitischer Sprecher der CDU.
Es wird wieder Mitternacht werden. Am späten Donnerstagabend wollen die Abgeordneten des Bundestages den Behinderten weitreichende Rechte einräumen. Sie werden dann die UN-Konvention für die Rechte von Menschen mit Beeinträchtigungen ratifizieren. Das soll vor allem Schülern mit Handikaps große Vorteile bringen. Sie dürfen laut Artikel 24 der Konvention künftig nicht mehr wegen ihrer Behinderung vom Zugang zu normalen Schulen ausgeschlossen werden. Offen ist, wie die Bundesländer mit der Konvention umgehen werden. Sie sind für die Schulen zuständig und gewähren dort bereits freien Zugang - in der Theorie. In der Praxis halten sie 80 Prozent der besonderen Kinder von den Regelschulen fern und weisen sie in Sonderschulen ein.
Hubert Hüppe: Erst einmal freue ich mich. Jetzt ist klar: Teilhabe für Menschen mit Behinderungen ist kein Geschenk und keine Gnade. Man verdankt sie nicht der Fürsorge oder gar dem Mitleid der "Nichtbehinderten", sondern Teilhabe ist ein Menschenrecht. Das müssen wir alle, auch die staatlichen Einrichtungen beachten. Das ist etwas völlig Neues, aber offensichtlich noch nicht jedem bewusst.
Es wurde sogar eine Art Beschwerdeausschuss in Genf geschaffen. Was bringt er?
An den Ausschuss können BürgerInnen sich wenden, allerdings erst, wenn der innerstaatliche Rechtsweg erfolglos war. Das wird nicht gleich in ein paar Wochen geschehen, aber mancher Musterprozess könnte schon eine Menge ändern. Übrigens muss mit dieser UN-Konvention auch auf nationaler Ebene eine unabhängige Stelle geschaffen werden, die die Umsetzung beobachtet. Das ist einmalig - und es dämmt das Risiko ein, dass diese Konvention in den Schubladen verschwindet.
War es richtig, die Konvention eilig und praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu verabschieden?
Mir wäre Genauigkeit lieber gewesen als Schnelligkeit. Viele Selbsthilfeverbände haben darauf gedrängt, mit der Ratifikation unbedingt in diesem Jahr fertig zu werden. Ich verstehe das - aber es ist zugleich ein Verlust an Öffentlichkeit. Dass die beiden Bundestagsdebatten jeweils nach Mitternacht angesetzt waren, ist dem Thema nicht angemessen. Ich selbst habe sowohl Probleme mit der deutschen Übersetzung wie auch mit der sogenannten Denkschrift der Bundesregierung.
Die Regierung vertritt die Ansicht, dass ihre Gesetze mit der Konvention voll übereinstimmen. Aber verletzt das Sonderschulunwesen der Länder nicht die Konvention?
Dass heute Schüler mit Behinderungen aus Regelschulen ferngehalten werden, widerspricht eindeutig der Konvention. In der Denkschrift der Bundesregierung zur UN-Konvention sieht es so aus, als wenn schon alles geregelt sei und sich eigentlich nur der Rest der Welt ändern müsste. Ich glaube das nicht. Es wundert mich auch, dass die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange der Menschen mit Behinderungen diese Denkschrift hat durchgehen lassen. Tatsache ist, dass der größte Bedarf für Änderungen an Schulen und im Bildungswesen besteht.
Kann der Bund es sich bieten lassen, dass die Länder gegen Konventionen verstoßen?
Ich weiß gar nicht, ob der Bund anders denkt als die Länder. Man hätte mit Modellprojekten sicherlich auch auf Bundesebene Zeichen setzen können. Nun müssen die Länder über den Bundesrat auch die Konvention ratifizieren. Von daher muss sich die Politik jedes Landes an der Konvention messen lassen.
Und wie wollen Sie die Inhalte der Konvention in den Ländern durchsetzen?
Ich habe nicht die Macht, irgendetwas durchzusetzen - auch wenn ich es mir wünschen würde. Als Behindertenbeauftragter meiner Fraktion bin ich erst einmal darauf angewiesen, dass mir die Menschen mitteilen, wenn sie konkrete Verstöße gegen ihre garantierten Rechte erleben. Ich kann Betroffene, die sich dazu in der Lage fühlen, nur ermutigen, für ihre Rechte auch vor Gericht zu kämpfen. Sollten sie dabei erfolglos bleiben, eröffnet die Konvention mit dem Ausschuss in Genf neue Möglichkeiten. Ein hier erstrittenes Urteil stellt Missstände auch international an den Pranger und zwingt die Länder, zu handeln. Davon profitieren letztlich alle. Wichtig wäre, dass auch die großen Betroffenenverbände mit Geld, Engagement und Rechtshilfe Unterstützung leisten.
Achtzig Prozent der Jugendlichen mit Behinderungen werden mit staatlichem Zwang von Regelschulen ferngehalten. Hilft der Bildungsartikel der Konvention, um das zu ändern?
In Artikel 24 der UN-Konvention erkennen die Vertragsstaaten das Recht von Menschen mit Behinderungen auf Bildung an. Der Artikel beschreibt klar, dass das Ziel des Umsetzungsprozesses ein inklusives - und nicht wie in der deutschen Übersetzung ein integratives - Bildungssystem auf allen Ebenen sein muss. Dies ist eine große Herausforderung für unser deutsches Schulsystem, deckt sich aber letztendlich mit der gewonnenen Erkenntnis, dass wir nur durch individuelle Förderung allen Schülern gerecht werden können. Ein notwendiger erster Schritt könnte jetzt sein, allen Kindern mit Behinderung, die das wollen, einen problemlosen Zugang zur Regelschule zu ermöglichen.
Was raten Sie Eltern, die mit ihren 10-Jährigen an der bürokratischen Gummiwand scheitern. Also an Schulleitern und Lehrern, die Integration nicht wollen oder können; an Kommunen, die Schulhelfer nicht zur Verfügung stellen; an Ministern wie dem in Baden-Württemberg, der einer bereits funktionierenden Integrationsschule das Licht ausknipst. Was sollen diese Eltern tun?
Den Eltern rate ich, nicht aufzugeben. Schließen Sie sich zusammen, schaffen Sie Öffentlichkeit und schöpfen Sie alle Rechtsmittel aus. Die Konvention eröffnet hier neue Möglichkeiten. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie aufreibend der Kampf um einen Platz in einer Regelschule ist. Aber es lohnt sich. Es gibt mittlerweile bundesweit Anlaufstellen, die sich gut auskennen - etwa den Verein "Gemeinsam lernen - gemeinsam leben". Da können sich Betroffene Rat holen. Die Pisa-Gewinnerländer zeigen mit einer integrativen Strategie, dass behinderte Kinder die Entwicklung nicht behinderter Kinder nicht etwa hemmen, sondern fördern. Es ist für alle besser. Wer trotzdem versucht, gemeinsamen Unterricht zu sabotieren, verletzt bald den Artikel 24 der Konvention die Menschenrechte.
Viele Eltern sagen: Kinder mit leichten Behinderungen lassen sich in Regelschulen integrieren - aber doch nicht Trisomiekinder oder Kinder, die schwerstmehrfachbehindert sind. Haben die Recht?
Jedes Kind mit Behinderung, das eine Regelschule besuchen möchte, sollte das tun können. Andere Länder haben uns gezeigt, wie es geht. Art und Schwere der Behinderung spielen eine untergeordnete Rolle. Übrigens: Kinder mit Trisomie haben nur ein Chromosom mehr und sind für mich erst mal nicht schwerstmehrfachbehindert. Aber ich bin kein Träumer. Natürlich haben viele Kinder sonderpädagogischen Förderbedarf und brauchen Therapien. Jedoch sollte diese Förderung zum Kind kommen. Was die Kinder in der Vielfalt voneinander lernen, kann keine Förderschule ersetzen.
INTERVIEW: CHRISTIAN FÜLLER
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