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Hotline für ausstiegswillige VerbindungsstudentenAnlaufstelle für Männerbündler

Der Asta der Uni Göttingen richtet ein Beratungstelefon für die Mitglieder von Studentenverbindungen ein. Hintergrund ist, dass Ausstiegswillige bedroht worden seien.

Will hier jemand raus? Göttingens Uni-Asta weiß Rat. Bild: dpa

GÖTTINGEN taz | Aussteigertelefone sind vor allem bekannt für Mitglieder der Neonaziszene: Angeboten werden sie etwa von einigen Landesverfassungsschutzbehörden oder auch antirassistischen Initiativen. Wer dem braunen Mob den Rücken kehren will, kann dort anrufen und um Hilfe ersuchen. Kurios: Die RechtspopulistInnen von "Pro NRW" boten sogar einmal ein Aussteigertelefon für CDU-Mitglieder an.

Mitglieder studentischer Verbindungen können ab nächster Woche beim Göttinger Asta anrufen. Das Projekt mit dem Namen "Falsch verbunden" - erklärtermaßen ein "Hilfsprojekt" - soll ein Beratungstelefon für Verbindungsstudenten sein, eine "Anlaufstelle bei persönlichen Konflikten, die ein männerbündisches und hierarchisches Gemeinschaftsleben mit sich bringen kann", so formuliert es der Asta.

Was auf den ersten Blick nach ironischer Stimmungsmache einer linken Studierendenvertretung gegen die gemeinhin als rechts angesehenen Verbindungen klingen mag, ist dabei vollkommen ernst gemeint: "Es gibt die Erfahrung, dass Aussteiger unter Druck gesetzt und sogar bedroht wurden", sagt Patrick Michaelis, Asta-Öffentlichkeitsreferent. Bei anderen Beratungsstellen würden sich Verbindungsstudenten mit solchen Problemen melden. "Das kann man nicht leugnen", sagt Michaelis. Diese Erfahrungen seien der Ausgangspunkt für das Projekt gewesen.

Zielgruppe sind demnach nicht nur Ausstiegswillige, sondern alle Korporierten, denen das Leben in ihrer Verbindung Probleme bereitet. "Wir erwarten nicht, dass die Massen anrufen", gibt Michaelis zu. Aber denen, die zum Hörer greifen, verspricht der Asta unkomplizierte Hilfe: Unterstützung bei der Wohnungssuche, Tipps zum Kontakteknüpfen oder, bei schwerwiegenden Problemen, die Weitervermittlung an psychosoziale Beratungsstellen.

"Bei Problemen mit Alkoholabhängigkeit würden wir auch Hilfe vermitteln", sagt Michaelis. Ebenso könnten besorgte Angehörige bei der Beratungsstelle anrufen. Vier BeraterInnen haben zur Vorbereitung eine Schulung bei einem Psychologen absolviert.

Vorbild für das Aussteigertelefon ist ein Projekt des StudentInnenrats Leipzig: Bei "Presence" können Verbindungsstudenten seit 2007 Hilfe suchen. "Ernsthafte Nachfragen von jemandem, der aussteigen wollte, gab es allerdings nie", sagt der Leipziger Antirassismusreferent Kasimir Wansing. "Die Frage ist, ob es abschreckt, dass es ein linker Asta macht", so Michaelis. "Aber wir probieren das erstmal aus."

Beifall für die Göttinger Initiative kommt aus Hannover. Der dortige Asta begrüßte die Einrichtung im Südniedersächsischen. Man wolle nun überlegen, auch eine Beratungsstelle für Verbindungsstudenten aus Hannover einzurichten.

In Göttingen leben nach Asta-Schätzungen etwa 800 Verbindungsstudenten in etwa 50 teilweise prunkvollen Häusern. Von denen tragen manche die Spuren von Farbbeutelangriffen: Insbesondere gegen rechte Burschenschaften gibt es in der Universitätsstadt immer wieder Proteste.

Die Hotline ist ab 30. Mai immer montags von 11 bis 12 Uhr unter 0551 / 392 22 68 geschaltet

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15 Kommentare

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  • H
    holger

    die burschis scheinen ja ganz gut angepisst zu sein von der netten aktion, wie sie hier alle rumjammern.

  • L
    leo

    Der Artikel zeugt von einer vollkommenen Ingnoranz des Verbindungswesens. Offenbar bezieht der Autor seine Erkenntnisse allein aus den Verlautbarungen des Göttinger AstA. Hat er sich einmal kritisch mit der Sache befaßt? Wohl eher nicht, denn dann wäre er der Aktion des AstA nicht so aufgesessen. Peinlich, peinlich...

  • A
    ahah

    Liebe TAZ,

    als bekennendes Mitglied einer kath. Verbindung und interessiertem TAZ-Leser muss ich mich schon wundern, dass Ihr journalistische Anspruch es nicht verhindert hat, dass über die eher zwischen Hilflosigkeit und Albernheit angesiedelte Aktion des AStAs GÖ hier berichtet wird. Wenn Sie wenigstens die Verwendung von studentischen Zwangsbeiträgen thematisiert hätten oder die Frage, inwieweit hier eigentlich der Aufgabenkatalog des AStAs aufgrund politischer Feindbilder (gelinde gesagt) sehr weit ausgelebt wird. Schade! Ketzerhafte These: Möglicherweise ist die Toleranz und das Demokratieverständnis bei den meisten Verbindungsmitgliedern größer als dass die alten Feindbilder der "Linken" es zulassen, ein Mindestmaß an kritischer Distanz zu wahren!

  • S
    Student

    Die Teilnehmer bei diesem Facebook Event sind fast alle Verbindungsstudenten. Das wird auch der AStA in Göttingen wissen. Die nebulösen Andeutungen, irgendjemand sei bedroht worden, sollte man nicht unkritisch übernehmen. Verbindungen sind Vereine. Und dort darf und kann man austreten wie und wann man will. Natürlich sollte es einem zu Denken geben, wenn man von niemandem zu überreden versucht wird, seinen Schritt zu überdenken.

  • UW
    Ulrich Witt

    Ich bekenne mich mal dazu, dass ich Mitglied einer der Göttinger Studentenverbindungen bin, und zwar einer, die ein eigenes Symphonieorchester hat. DA herrschen vielleicht diktatorische Hierarchien! Ich stehe dem Orchester als Dirigent vor und darf ganz allein und gottgleich entscheiden, wie über 40 Leute zu spielen haben. Und noch schlimmer, sie müssen das GLEICHZEITIG tun. Und als phallisches Symbol meiner patriarchisch-sexistischen Position droht ich allen permanent mit einem Stock!!! Und als Beweis meiner Verstocktheit will ich gerne zugeben: ich werde das auch nicht lassen.

  • B
    Burschi

    Lieber Dodo,

     

    woher bzw. warum übernimmst Du so offensichtlich falsche Aussagen.

     

    Hast Du Dich je mit dem Thema objektiv auseinandergesetzt?

     

    Ich finde z.B. den Tatort "Satisfaktion" relativ objektiv. Es sind zwar Szenen drinnen die stimmen so einfach nicht, aber da haben Alte Herren aus Corps zumindest Mitspracherecht gehabt. Aber z.B. das jemand fragen muss um Dispens umd zu Klo zu gehen halte ich für einfach falsch. Das gibt es so nicht nirgendwo.

     

    Aber hübsche Mädels die betrunkenen Corpos halfen hatten sie zumindest in dem Film. Das ist zumindest mal ein Ansatz.

  • B
    Ben

    Wie wärs denn mal mit Toleranz ?

     

    Übrigens gibt es durchaus sozialdemokratische

    Verbindungsstudenten...aber das "darf" ja nicht sein, stimmts ?

    Dann haben wir ja kein Feindbild mehr...Wir haben übrigens 5 Füxe , dieses Semester

  • B
    Burschi

    Ihren Kommentar hier eGöttinger Verbindungen bieten Ausstiegshilfe für Linksradikale

    Göttinger Verbindungen bieten Beratung für ausstiegswillige Mitglieder von linksradikalen Organisationen wie der Antifa und Teilen des ASta an. Nach Schätzungen der Verbindungen sind in Göttingen rund 80 Studierende in diesen organisiert. Einige von ihnen seien stark linksextrem.

     

    Bislang gab es zwischen dem Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA) der Universität Göttingen und den Mitgliedern der knapp 50 Studentenverbindungen in Göttingen nur wenig Berührungspunkte. Jetzt wollen sich die Studentenverbindungen auch um diese Klientel kümmern – mit einem speziellen Hilfsangebot: Unter dem Motto „Toleranz wagen!“ bieten die Verbindungen ab der kommenden Woche eine spezielle Telefonberatung für Linksextremisten an, die Probleme mit den Strukturen und Gepflogenheiten in ihrer Organisation haben oder ganz aus dieser demokratiefeindlichen Gemeinschaft aussteigen möchten.

     

    Die Idee zu dem Projekt stamme von einer studentischen Gruppe, die sich seit Längerem mit dem ASta auseinandersetze, sagte am Montag der Öffentlichkeitsreferent der Verbindungen. Vorbild sei ein Aussteigerprogramm an der Universität Göttingen. Dort bietet der „StudentInnenrat“ unter dem Titel „Falsch Verbunden“ seit kurzem ein Beratungs- und Hilfsprogramm für Angehörige von Burschenschaften an. In Göttingen können sich hilfesuchende Autonome künftig rund um die Uhr an das Beratungstelefon unter der Nummer (0551) TOLERANZ WAGEN wenden.

     

    Man wisse aus Gesprächen mit Studenten, dass es Aussteigewillige gebe, die ihre Organisation verlassen möchten, sagte der Projektbetreuer. Die Betroffenen hätten sich von den billigen Parolen locken lassen, ohne zu wissen, in welche verblendeten Strukturen sie sich dort begeben.

     

    Nach Ansicht der Initiatoren können Gruppendynamik, Feindlichkeit und gewalttätige Ausschreitungen gegenüber Andersdenkenden, Alkoholismus und Rituale der Unterordnung, wie sie in der Antifa und Teilen des AStas gepflegt werden, zu einem Wandel der Persönlichkeit sowie zu psychischen und physischen Problemen führen. Auf den Flugzetteln, die sie auf dem Campus verteilen wollen, sprechen sie diese Aspekte direkt an. „Siehst du dich von deinen Mitstreitern unter Druck gesetzt oder wirst sogar bedroht?“, „Stören dich radikalfeministische Gesellschaftsbilder und antidemokratische Parolen in deiner Umgebung?“, „Leidest du unter der Unterdrückung anderer Meinungen und fragwürdigen Ritualen?“, wird dort gefragt.

     

    Man wolle mit der Telefonberatung ein niedrigschwelliges Angebot machen, berichtete eine Projektmitarbeiterin. Die speziell geschulten Berater geben nicht nur psychologische Unterstützung, sondern helfen auch bei der Suche nach kostengünstigem Wohnraum. Bei gravierenden Problemen und akuten Krisen vermitteln sie die Hilfesuchenden an die psychosoziale Beratung des Studentenwerks, Rechtsberatungsstellen und Psychologen. In vielen Fällen sei es nicht so leicht, aus der Antifa oder dem ASta wieder herauszukommen, sagte ein Verbindungssprecher. Häufig werde auf die Betroffenen ein erheblicher sozialer und körperlicher Druck ausgeübt.

     

    Nach Schätzungen der Verbindungen sind in Göttingen rund 80 Studierende in gewaltbereiten und intoleranten Zusammenschlüssen organisiert. Einige von ihnen seien stark Linksextrem. ingeben

  • M
    Max

    In welcher Form werden die den bedroht? Habe noch nie was davon gelesen gehabt.

  • UW
    Ulrich Witt

    Es gibt unter den Göttinger Verbindung eine, die betreibt ein eigenes Symphonieorchester. DA herrschen vielleicht diktatorische Hierarchien! Vorne steht einer (NATÜRLICH ein MANN!), der ganz allein entscheidet, wie über 40 Leute zu spielen haben. Und noch schlimmer, sie müssen das GLEICHZEITIG tun, weil ER das so will. Und als phallisches Symbol seiner patriarchisch-sexistischen Position droht er allen permanent mit einem Stock!!! Das ist doch entwürdigend!!! Vielleicht sollte man den AStA konkret auf diese entwürdigende Situation hinweisen... Der Dirigent hat ihnen übrigens Beethoven aufgezwungen, was übrigens wirklich hart an der Grenze zum Rechtsextremismus ist. Ich zumindest bin zu tiefst schockiert...

  • K
    Katzisberg

    Einfach eine gelungene Aktion. Und wie ich auf FB gesehen habe, dürfte das Telefon sicherlich häufig läuten. Die entsprechnede Veranstaltung bei Facebook hat bereits 1.4000 Zusagen.

    http://www.facebook.com/event.php?eid=212462585454397

  • T
    Thoralf

    Wenn seit 2007 bereits in Leipzig die Erfahrung gemacht wurde, dass niemand das Angebot in Anspruch nehmen will, warum muss der ASTA in Göttingen dafür Geld ausgeben?

    In korporierten Kreisen macht man sich darüber übrigens ziemlich heftig lustig!

  • MS
    Max Schulz

    In Göttingen hat übrigens Heinrich Heine seine Studienzeit in einem Corps verbracht, an das er sich in "Deutschland - ein Wintermärchen" im Jahr 1844 so erinnert

     

    "Der lieben Westfalen, womit ich so oft

    In Göttingen getrunken,

    Bis wir gerührt einander ans Herz

    Und unter die Tische gesunken!

     

    [460] Ich habe sie immer so liebgehabt,

    Die lieben, guten Westfalen,

    Ein Volk, so fest, so sicher, so treu,

    Ganz ohne Gleißen und Prahlen.

     

    Wie standen sie prächtig auf der Mensur

    Mit ihren Löwenherzen!

    Es fielen so grade, so ehrlich gemeint,

    Die Quarten und die Terzen.

     

    Sie fechten gut, sie trinken gut,

    Und wenn sie die Hand dir reichen

    Zum Freundschaftsbündnis, dann weinen sie;

    Sind sentimentale Eichen."

     

    Für die Klappentextleser: Denk ich an Deutschland in der NAcht… entstammt Heinrich Heines Gedicht "Nachtgedanken"

  • J
    Jan

    Inzwischen lacht übrigens halb Göttingen über dieses "Sektentelefon". Die andere Hälfte wundert sich darüber, warum der AStA den 1. April auf den 24. Mai legen will.

  • D
    dodo

    Hehe...wer hätte das gedacht.

     

    Aber hätte man sich denken können, dass solche hierarchischen Gruppierungen Abweichler und Aussteiger bedroht.