Homoerotische Tanzperformance: Predigt für Bekehrte
Das neue Stück von Lloyd Newson "To be straight with you" wurde in Berlin uraufgeführt. Es geht um Menschen im Konflikt zwischen Homosexualität und Religion.
I don't think I'm gay. I just have an emotional problem." So versucht es sich der junge Mann zu erklären, der mit dem Rücken zu einer Tafel steht, auf der ihm ein anderer derweil Denkblasen und Engelsflügel malt. Das Publikum lacht ob dieses Kommentars in Kreide. Es hat die Lektion gelernt: Gläubiger Christ und schwul zu sein, kann das Denken ziemlich verqueren.
Auf ähnlich anschauliche Weise erzählt der Abend "To be straight with you" noch andere Geschichten von Menschen im Konflikt zwischen Homosexualität und Religion. Es ist das neuste Stück der mittlerweile legendären britischen "Physical Theatre"-Gruppe DV8, die schon vor mehr als zwanzig Jahren den Sex und das homoerotische Begehren zum Thema ihrer Tanzperformances machten. Koproduziert von den Berliner Festspielen, brachten sie die Uraufführung von "To be straight with you" in Deutschland heraus. Sie haben dafür 85 Interviews mit Betroffenen geführt, denen das multiethnische Ensemble seine Stimmen und Körper leiht. Erzählt werden Episoden um schweren Herzens vollzogene Coming-outs, Diskriminierungsstorys, aber auch selbstbewusste Konterversuche - ein DJ, der zu schwulenfeindlichen Rhythmen das T-Shirt hochreißt und den Bauchnabel kreisen lässt - im Grenzgang zwischen Sprech- und Tanztheater, zwischen Kunst und Kampagne.
Die Performer, die sich DV8-Mitbegründer Lloyd Newson für jede Produktion neu zusammensucht, beherrschen beides virtuos, tanzen und sprechen. Sogar gleichzeitig: Ohne aus der Puste zu geraten, erzählt ein Mann in einem eigentlich atemberaubenden Springseilsolo vom Konflikt mit dem Vater, der den Sohn, als er von dessen Männerliebe erfährt, erst mal eine halbe Stunde durchs ganze Haus jagt. Zur Musik von Shakira tanzt ein Duo im Bollywoodstil mit gespreizten Fingern, während man derweil von ahnungslosen Ehefrauen hört.
Am Anfang rappt einer slangstark und großgestig eine homophobe Wut ab, womit auch die Diskriminierung der einen Minderheit durch die andere, der Gays unter den Schwarzen, angeprangert wird. Ausgestellt wird daneben die Doppelmoral und Argumentlosigkeit der verschiedenen Glaubensgemeinschaften, die stur aufs Gesetz Gottes oder Allahs pochen.
Lichteffekte zeichnen Linien in den dunklen Raum, Lightgraffiti, die einer Geschichte auch mal comicartige Konturen verleiht. So paart sich zeitgenössischer Tanz mit Streetkultur, Bollywood und Disko, nicht als trashiges Chaos, sondern als perfekt designter Stilmix.
Die energiegeladenen Choreografien meiden die Abstraktion und folgen teilweise einem Gestenvergrößerungsprinzip, das alltägliche Bewegungen in Tanz überführt. So schimpft einer auf die Schwulen und fährt dazu mit gleich zwei warnenden Zeigefingern durch die Luft, lässt die Arme entschieden rucken und stellt damit den ganzen Körper auf Abwehr.
Selten wird im Tanz das politische Wollen so deutlich vor Augen geführt. Die Montage von Einzelschicksalen entwickelt allerdings weder analytische Qualitäten noch irritierendes Wirkungspotenzial. Dafür weiß dieses - gleichwohl grundsympathische- Aufklärungstheater viel zu genau, was es vermitteln will. Dazu passen die Tafeln im Bühnenbild und die Lehrstunde am projizierten Globus: Dass in sechs Ländern der Erde gleichgeschlechtliche Liebe mit der Todesstrafe geahndet wird und in vielen anderen sehr hohe Strafen veranschlagt sind, schockiert in der Tat.
In unseren Breitengraden scheinen die Probleme jedoch verschoben, die Diffamierung latenter, subtiler. Um da hineinzupieksen, bräuchte es wahrscheinlich andere Mittel. Denn bei einem Publikum, das mit den Gepflogenheiten der politischen Korrektheit vertraut ist, kann dieses überdeutliche Plädoyer für Toleranz wohl nur offene Türen einrennen. Es erweckt so unweigerlich den Eindruck einer Solidaritätsveranstaltung. Man hätte es gern ein bisschen weniger geradeheraus. A little bit less straight with us, please.
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