Homo-Gerüchte: Jörg Haider und die Männer
Sein Nachfolger stilisiert sich zum bizarren Nebenwitwer, vor seiner Todesfahrt betrank er sich im Schwulentreff. War der Populist Haider schwul oder bi? Und was geht uns das an?
"Haider schwul? Wen interessiert das?", titelte die Wiener Presse im vergangenen Dezember. Um dann anzuheben: "Es ist schon fast eine der klassischen Stadtlegenden. Der Freund eines guten Bekannten eines Cousins soll mit Jörg Haider Sex oder zumindest einen Kontakt gehabt haben, der dorthin hätte führen sollen." Botschaft des voyeuristischen Stücks, das sich über den Voyeurismus der anderen mokierte: Man weiß das nicht genau und braucht es nicht zu wissen.
Österreichs Medien, auch die sensationsheischenden Blätter, hielten sich immer an den Grundsatz, man werde Haiders sexuelle Vorlieben nicht zum Thema machen. Schließlich, so wurde das Prinzip formuliert, habe der Populistenführer noch nie gegen Homosexuelle gehetzt. Würde er das tun, wäre das etwas anderes - dann ginge es schließlich um Doppelmoral und politische Unglaubwürdigkeit. Da das nicht der Fall ist, liege die Sache anders: Haider hat eine Frau und zwei Töchter. Sollte er - auch? - Männer lieben, ginge das nur ihn und seine Nächsten etwas an.
Freilich, ganz so moralisch hochstehend wird die Zurückhaltung der Rechercheure schon nicht gewesen sein: Letztendlich hatte wohl nie jemand genug belastbare Beweise auf dem Tisch, die für ein Outing ausgereicht hätten.
Nach Haiders spektakulärer Todesfahrt im Vollrausch - der Kärntner Landeshauptmann hat sich mit 142 km/h und 1,8 Promille Blutalkohol "derschlagen", wie man hierzulande sagt - kocht das Thema wieder hoch. Aus zwei Gründen: Erstens stilisiert sich Stefan Petzner, sein Sprecher und Nachfolger als Chef des Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ), auf bizarre Weise als Nebenwitwer. Zweitens steht die Frage im Raum, was genau in den eineinhalb letzten Lebensstunden Haiders geschehen ist. Stefan Petzner, 27, Haiders engster Getreuer der letzten Jahre, heult seit einer Woche in jede Kamera, die er finden kann. Er spricht, wenn er nicht gerade die Fassung verliert, von einer Beziehung, die weit über ein freundschaftliches Maß hinausgegangen sei. "Immer Sorgen gemacht" habe sich der Jörg, erzählt er, "wegen dem Altersunterschied" - Haider war 31 Jahre älter als Petzner. "Wie weit" die Beziehung über Freundschaft hinausgegangen sei, ließ Petzner offen, fügte aber hinzu, dass Haiders Witwe Claudia daran keinen Anstoß genommen hätte. Und ob er Haiders Liebhaber gewesen ist, wagt kein Interviewer aus Pietätsgründen direkt zu fragen, was den erschütternd zweideutigen Gesprächen erst recht den Charakter schmierigen Herumgedruckses verleiht. Spekulationen wurden auch genährt durch irreführende Angaben, die Petzner zunächst über den letzten Abend Haiders gemacht hatte - ursprünglich sagte er, er habe sich von Haider unmittelbar vor dessen Todesfahrt getrennt. Später wurde klar, dass Petzner und Haider am Abend eine Party in Velden besucht hatten, diese aber - offenkundig streitend - zwischen 22 und 23 Uhr verlassen hatten. Haider war da noch nüchtern. Der Landeshauptmann fuhr dann in das Lokal "Zum Stadtkrämer", Klagenfurts bekannteste Schwulenkneipe. Dort wurde er zufällig fotografiert, als er mit einem bisher unbekannten jungen Mann an der Bar saß und sich ausgiebig betrank.
Ist all das politisch relevant? Jetzt natürlich nicht mehr, denn Haider ist tot. Aber natürlich hat es Bedeutung für die öffentliche Person, die Haider bis vorvergangenen Samstag war. Haiders Magnetismus schuldete sich ja nicht im Geringsten seiner schillernden, widersprüchlichen Persönlichkeit, die immer auch mit Gesten des Erotischen spielte, aber auch mit der Uneindeutigkeit. Er hatte einen persönlichen Zauber, der offenkundig besonders auf Männer in ihren frühen Zwanzigern wirkte, die er um sich scharte und blutjung in höchste Ämter hievte - "Buberlpartie" nannte man diese Prätorianergarde.
Haider war, wie immer man politisch zu ihm stehen mag, eine interessante Figur, und diese lässt sich einfach nicht charakterisieren und porträtieren ohne diese homoerotische Dimension - und möglicherweise auch nicht ohne den inneren Leidensdruck einer nie offen ausgelebten Sexualität. Seine Führerschaft stützte sich auf junge, schick gekleidete junge Männer, die emotional stark von ihm abhängig waren, die er fest an sich band, immer wieder aber auch in dramatischen Gesten verstieß. Ob all das nur eine erotische Note hatte oder eine explizit sexuelle Dimension - man weiß es nicht.
Privatsache? Klar.
Aber lässt sich Haider, immerhin eine prägende Figur der österreichischen Nachkriegsgeschichte, ohne diese Privatsache verstehen? Ganz gewiss nicht.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links