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■ Holocaust-Mahnmal: Die Auslober sollten ihr Scheitern eingestehenGeheimniskrämerei

Ein Ensemble hölzerner Kisten ist derzeit, so berichten informierte Berliner Scouts, auf Umzugsfahrt. Vom Deutschen Historischen Museum sei der Modellentwurf vom Mahnmal für die ermordeten Juden Europas des amerikanischen Architekten Peter Eisenman auf dem Weg zu einem noch unbekannten Ort, an dem er dann der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden soll. Das soll frühestens übermorgen möglich sein, denn erst dann werden die Berliner Senatoren über den Entwurf beraten haben. Die Volksvertreter haben sich eine Art Erstsehrecht eingeräumt. Ihre Meinung zum Entwurf haben die meisten aber schon vor Einsichtnahme geäußert, so daß man davon ausgehen muß, daß der Berliner Senat als einer der drei Auslober des Wettbewerbs, aus dem das Eisenman-Modell mit den besten Realisierungschancen hervorgegangen war, sich zu keiner eindeutigen Entscheidung durchringen kann.

Unterdessen ist eine andere Geheimsache an die Öffentlichkeit gekommen. James E. Young, Sprecher der Findungskommission, die der Senat zur Beurteilung der Mahnmalsentwürfe bestellt hatte, hat seine Expertise zum überarbeiteten Eisenman-Modell vorgelegt. Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen kennt sie noch nicht. (Die Kommunikationswege öffentlicher Verwaltungen können einen in Zeiten des Internets bisweilen schon in Staunen versetzen.) Anders die Berliner Zeitung Der Tagesspiegel. Sie hat Youngs Papier bereits am Samstag veröffentlicht. Es enthält keine vor der Öffentlichkeit zu schützende Ansichten, sondern ist eine entschlossene wie sorgfältig begründete Befürwortung des Modells von Peter Eisenman.

„Ich habe lange auf ein Denkmal gehofft“, schreibt Young, „das sich im Lauf der Zeit so entwickelt, daß es die Anliegen jeder Generation und die Bedeutungen, die jede Generation dem Gedenken an die ermordeten Juden zuweisen wird, widerspiegelt. In diesem Denkmal, das auf Unvollständigkeit beharrt und das die ausdauernde Arbeit an einem unlösbaren Problem vor jede Lösung stellt, finde ich ein Denkmal, das so suggestiv in seiner komplexen Konzeption wie beredt in seiner formalen Gestaltung ist.“ Der emphatischen Zustimmung Youngs geht eine nüchterne Analyse von Eisenmans Werk voraus. Wer künftig, in welcher Absicht auch immer, über das Mahnmal sprechen will, wird Youngs Gutachten zur Kenntnis genommen haben müssen.

Die drei Auslober des nunmehr gut zehn Jahre währenden Verfahrens, der Berliner Senat, die Initiative um Lea Rosh und der Bundeskanzler, haben sich seinerzeit nicht nur auf ihre Geschmacksurteile verlassen wollen. In drei kontroversen wie anregenden Kolloquien sind sie mit Argumenten, Haltungen und Ratschlägen versorgt worden. Alle Äußerungen zu sortieren war schwierig, bisweilen grotesk. Der Meinungsbasar glich einem Labyrinth. Die Findungskommission sollte noch einmal Kompetenz in Form von Gutachtenqualität einbringen. Wenn die Auslober auf dieser Grundlage, die von einer breiten öffentlichen Diskussion begleitet wurde, keine Entscheidung finden können, ist das vielleicht nicht für jeden zu verstehen. Es ist eine politische Schwäche, eine Schande ist es nicht. Wenn es ihnen die Sache bar jedes Partikularinteresses nach wie vor wert ist, dann sollten die Auslober ihr Scheitern so schnell wie möglich eingestehen.

Der naheliegende Ausweg aus dieser Situation ist die Überantwortung der Entscheidung an den Deutschen Bundestag. Das bedeutet noch einmal viele, viele Feuilletonbeiträge und eine Fortsetzung der Debatte. Das wäre der demokratischen Öffentlichkeit allerdings unbedingt zuzumuten. Den Abgeordneten, dann wohl des neu gewählten Bundestags, sollte man einen Sonderdruck an die Hand geben, mit dessen Hilfe sie sich das Argumentieren und Meinen der vergangenen Jahre noch einmal Revue passieren lassen können. Das wäre dann auch ein demokratisches Lehrstück und gar nicht einmal das schlechteste. Bloß auf Geheimverabredungen und -papiere kann man bei der weiteren Entscheidung zum Mahnmal verzichten. Harry Nutt

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