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■ Hoffnungslosigkeit, Ausweglosigkeit und Bier in getragenen StrümpfenNeulich beim Analytiker

„Guten Tag, Herr Doktor.“

„Guten Tag, Herr Schelbert. Nehmen Sie doch Platz. Und jetzt stellen Sie sich vor, Sie sind ein häßliches, haarloses Reptil, das in eine Jauchegrube gefallen und gerade dabei ist zu begreifen, daß es das Ufer nicht mehr erreichen wird. Wie fühlt sich das für Sie an?“

„Schlecht. Das ist ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit. Ich habe das Gefühl, in Jauche zu ertrinken.“

„Gut. Jetzt stellen Sie sich vor, Sie sind ein Unfallwagen, der seit vierzehn Jahren in einem nach Kohlrabiresten riechenden Dornbusch liegt und Rost ansetzt und auf dem Rücksitz das Skelett eines Anhängers von Schalke 04 birgt. Was ist das für ein Gefühl?“

„Na ja, ich könnte mir was Schöneres vorstellen...“

„Geht es etwas konkreter?“

„Also, als altes Auto mit Skelett innendrin würde ich mich unwohl fühlen. Wenn es nichts mehr gibt, worauf man sich freuen kann? Das ist ein Gefühl der Ausweglosigkeit. Und der Einsamkeit. Einsamkeit und Ausweglosigkeit. Ja.“

„Sehr schön. Nun zur dritten Frage. Stellen Sie sich vor, Sie sind ein seit elf Monaten nicht mehr gewaschener, aber täglich getragener Strumpf, den ein dicker, warzenübersäter Kettenraucher in seiner Kochnische in Bad Oeynhausen übers Bierglas stülpt, um auszuprobieren, wie das Bier schmeckt, wenn es durch den Strumpf getrunken wird.“

„Das ist ja wohl das Letzte.“

„Stellen Sie es sich vor.“

„Wie Sie meinen! Ich bin also dieser Strumpf. Ich ekele mich vor dem Dicken, aber auch vor mir selbst... Ich bin ein Nichts, ein Dreck, aber ich bin dagegen machtlos... Ich fühle mich deprimiert und angewidert, und ich denke, daß es besser wäre, wenn es mich nicht gäbe...“

„Danke, das genügt. Wir kommen nun zur Auswertung. Um es kurz zu machen, lieber Herr, äh...“

„Schelbert.“

„Schelbert, richtig. Nun, Herr Schelbert, darf ich ganz offen zu Ihnen sprechen?“

„Nur zu.“

„Herr Schelbert, Sie müssen jetzt ganz stark sein. Sie sind ein Mann, der das Gefühl hat, in Jauche zu ertrinken. Sie sind einsam und ohne Hoffnung, von einem Gefühl der Ausweglosigkeit erfüllt. Sie sind ein Dreck, ein machtloser Wurm, ein scheißefressendes Nichts mit Hautausschlag und Überbiß und Würgemalen und blauem Auge und ohne Pillermann!“

„Glauben Sie wirklich, Herr Doktor?“

„Es ist kein Zweifel möglich. Ich arbeite mit den modernsten wissenschaftlichen Methoden.“

„Aber letztes Mal war ich doch noch ein durch Juwelen watender Prinz mit absolutem Gehör und geschmeidigen Hüften!“

„Waren Sie das? So ändern sich die Zeiten.“

„Ah. Ja. Das ist gut zu wissen. Danke, Herr Doktor. Habe die Ehre!“

„Und lassen Sie sich einen neuen Termin geben. Der nächste bitte!“ Gerhard Henschel

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