: Hörer sind Zugreisende
„Pressplay 2“: Eine Anthologie der freien Hörspielszene feiert heute Releaseparty in der Schaubühne
U-Bahn-Räder rattern, kreischende Bremsen und klappende Türen werden geloopt, und über alles legt sich im Hörspiel „Nächster Halt“ von Ina Kleine-Wiskott die sanfte Stimme von Ingrid Metz-Neun. Sie ist die Synchronsprecherin Marilyn Monroes, die vielen Deutschen auf dem Weg zur Arbeit täglich begegnet: In den Stationsansagen der öffentlichen Verkehrsmittel. Ganz beiläufig verdichtet sich die raffinierte Geräuschcollage zur Erzählung: Die Sprecherin erzählt charmant, aber pragmatisch von ihrer Arbeit, strikt unterscheidend zwischen ihrer Haltestellen-Stimme, der Marilyn-Stimme und der privaten, mit der sie mit ihren Pflanzen spricht. Plötzlich mischt sich stockend ein Mann ein, der aus dem öffentlichen Verhältnis ein privates gemacht hat und nun 14 Stunden am Tag U-Bahn fährt, um dieser Stimme zuzuhören. Fast beiläufig entgleitet das Hörspiel ins Unheimliche, ob der Stimm-Stalker nun fiktiv oder real ist, vermag man nicht zu sagen. Und zugleich ist die Reflexion darüber, was eine Stimme über einen Menschen erzählt, natürlich höchst medienaffin, imaginiert doch auch der Zuhörer Körper, Gesichter, Menschen zu den Sprecherstimmen des Hörspiels.
„Nächster Halt“ gewann 2003 den Berliner Plopp-Award und ist nun Teil der Anthologie „pressplay 2“: Die liefert einen hervorragenden Eindruck über verschiedene Ästhetiken, stellt wichtige Protagonisten der freien deutschen Hörspielszene vor und macht ihre Arbeiten zugänglich. Denn in den öffentlich-rechtlichen Sendern ist oft nur zu später Stunde Platz für experimentelle, spannende Hörspielformate. Diese Lücke schließt der Hamburger Mairisch Verlag, in dem Claes Neuenfeind nun bereits die zweite Anthologie der freien Szene herausbringt.
Es gibt zahlreiche Überschneidungen zwischen Theater- und Hörspielszene, sind die beiden Gattungen doch von Anfang an eng verwandt. So sind etwa der Theaterautor Carsten Brandau, der Schauspieler Kristoffer Kreudel und der Regisseur Paul Plamper mit Eigenproduktionen vertreten. Ohnehin bewegt sich ein Großteil der 20 Hörspiele auf Gattungsgrenzen, sei es hin zum Feature oder zur Musik: Häufig wird dokumentarisches Material verarbeitet, Alltagserzählungen und O-Ton-Collagen schillern zwischen Realität und Fiktion. Andererseits arbeiten viele mit Remix-Strukturen und rhythmischen Klanglandschaften. Beides kommt nicht nur in Ina Kleine-Wiskotts „Nächster Halt“ zusammen, sondern auch bei Claudia Kattanek, ebenfalls Preisträgerin des Plopp-Awards: Ihr Hörspiel „Pendel, Baby! – Ein Intercityintermezzo“ spielt in der Rapid-Verbindung zwischen Köln und Frankfurt. Pendler treffen aufeinander, Fremde kommen sich zu nah, man lauscht privaten Gesprächen, eine deutsche Familie singt „Marmor, Stein und Eisen bricht“, zwei treffen sich zum gemeinsamen Nickerchen. Als kurze Szenen sind diese Erzählungsfetzen aneinander montiert, und dazwischen geht es dem Hörer wie dem Zugreisenden: In den Leerstellen kann man sich einrichten, was nicht zu Ende erzählt wird, weiterdenken und ausfantasieren.
So entwirft „pressplay 2“ auch das akustische Porträt öffentlicher Räume und des urbanen Lebens heute, ziehen in Paul Plampers „Kühlschrank“ Jungerwachsene zusammen und gründen, belauscht von ihrem Kühlschrank, eine Heimstatt, in der Einkaufs- und Familienplanungen einander ablösen. In Mia Frimmers „Den Einen, die Eine“ entgleiten sich potenzielle Paare, noch bevor es zur Liebe kommen kann, sie pflegen Misstrauen und Fremdheit; und Carsten Brandau unternimmt einen poetisch-bizarren Streifzug durch „Unsere Straße“.
So entpuppt sich die Anthologie als wahres Wundertütenformat, in dem es viel zu entdecken gibt. Bleibt nur, der gebieterischen Anweisung ihres Titels zu folgen: press play! ESTHER BOLDT
Claes Neuenfeind (Hg.): „pressplay 2 – Die Anthologie der freien Hörspielszene“. Mairisch Verlag 2008. Spielzeit 380 Minuten, 15,90 €ĽReleaseparty am 13. November in der Schaubühne