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Archiv-Artikel

Höllentour in Beuel

Es geht ihnen um die Zukunft des Radsports, erklären Zabel und Aldag ihre Beichte

AUS BONN CHRISTIANE MITATSELIS

Es ist kein Tag wie jeder andere, das ist nicht zu übersehen. Das T-Mobile-Forum im grünen Bonner Stadtteil Beuel ist am Morgen umzingelt von Übertragungswagen. ARD, ZDF, RTL – alle sind sie gekommen. Überall werden Moderatorennasen gepudert. In der mit Fahnen im Firmen-Magenta geschmückten Halle drängeln sich die Fotografen und Kameraleute. Wenn es hier früher so zuging, wurden meist Radsporthelden wie Jan Ullrich und Erik Zabel empfangen und gefeiert – nach ihren glorreichen Einsätzen bei der Tour de France. Heute ist die Stimmung betreten. Es ist die Woche der großen Dopinggeständnisse. Der ehemalige Telekom-Profi Bert Dietz hat die Welle am Montag ausgelöst, nach ihm folgten Christian Henn, Brian Holm und Udo Bölts. Und in Bonn geht es weiter, das spürt hier jeder.

Zusammen marschieren sie in die Halle, beide haben weiße Hemden angezogen. Rolf Aldag, heute sportlicher Leiter des T-Mobile-Teams – und Erik Zabel, der inzwischen für Milram fährt. 2003 hat Pepe Danquart sie in seinem Film „Höllentour“ als unzertrennliche Sportsfreunde porträtiert. Zabels Blick ist gequält. Der Gang fällt ihm sichtlich schwer. Also beginnt der forschere Aldag: „Ich habe im Vorfeld der Tour de France 1995 mit Epo-Doping begonnen“, erklärt er mit ruhiger Stimme, als hätte er den Satz lang geübt. „Ich habe es getan, weil es ging, ich konnte nicht erwischt werden. Ich wollte Erfolg und habe mich aktiv fürs Dopen entschieden.“ Er habe sogar seine eigene Zentrifuge im Zimmer gehabt, um bei Rundfahrten frühmorgens den Hämatokritwert seines Bluts ermitteln zu können. Beschafft habe ihm das Epo, ein Medikament, das die Zahl der roten Blutkörperchen erhöht und deshalb im Ausdauersport so wirksam ist, der frühere Team-Masseur Jef D’Hont und auch die Freiburger Ärzte Heinrich und Schmidt. Am Ende habe er sich Epo sogar per Internet selbst bestellt.

Dann entschuldigt sich Aldag für den Betrug und dafür, dass er gelogen habe. Dazu hat er allen Grund: Noch Anfang des Jahres 2007 hatte er – schon im neuen Job als sportlicher Leiter – behauptet, nie gedopt zu haben. Aldag will nun die Wahrheit sagen, um dem Radsport zu helfen: „Wir müssen die Vergangenheit aufarbeiten, um eine bessere Zukunft zu schaffen.“ T-Mobile lässt ihn machen. Aldag bleibt trotz des Geständnisses im Amt, die Mobilfunker wollen das Team vertragsgemäß bis 2010 sponsern. Das hat Sprecher Christian Frommert eingangs erklärt. Mit jungen, talentierten Fahrern. Natürlich ungedopt.

Um die Zukunft des Radsports geht es auch Zabel, dessen Beichte sehr emotional ausfällt. „Kurz vor der Tour 1996 habe ich mich entschlossen, Epo zu benutzen. Ich habe gedopt, weil es ging“, sagt er. Allerdings habe er das Mittel nicht vertragen, morgens unter erhöhter Temperatur gelitten und sich schlecht gefühlt. Deshalb sei es bei einer Epo-Kur geblieben. „Ich war schnell genug, ohne Doping“, erklärt der Sprinter, noch gefasst, noch berlinert er leicht. Als er darauf kommt, warum er sich zum Reden entschlossen hat, ist es aber damit vorbei. Mit stockender Stimme bringt er hervor: „Ich möchte nicht, dass mein Sohn den Sport in einer ähnlichen Situation ausüben muss wie ich. Ich will ehrlichen und fairen Sport, deshalb kann ich meinen Sohn und alle anderen nicht weiter belügen.“ Tränenpause. Der 38-Jährige weiß, mit seiner Karriere kann es nun ganz schnell vorbei sein: „Ich habe keine Ahnung, wie das Team entscheidet, und bin bereit, alle Konsequenzen zu tragen. Ich habe mein altes Leben heute an der Garderobe abgegeben. Wir waren Gefangene unseres Denksystems.“

Dieses Denksystem lautet: Alle dopen, also macht man mit, um Erfolg zu haben. Aldag und Zabel wollen es aus dem Radsport vertreiben. „Wir brauchen bessere Dopingtests, sie sind immer noch unzulänglich. Wir brauchen Regeln, an die sich alle halten, damit wir unter gleichen Voraussetzungen Erfolg haben können. Wir brauchen Hilfe von den Verbänden und aus der Politik“, fordert Aldag. Sechs Fahrer aus dem Telekom-Team der Neunzigerjahre sind damit als Doper geoutet. Jan Ullrich, der erfolgreichste Profi, macht allerdings weiter keine Anstalten, zu beichten.

Aldag und Zabel wollten sich zum Fall des Tour-Siegers von 1997 nicht äußern. „Ich kann über Jan nichts sagen“, erklärt Aldag. Doping sei immer eine individuelle Angelegenheit der Fahrer gewesen. „Doping ist erniedrigend. Das macht man allein für sich. Nicht einmal mein Zimmerkollege Erik Zabel hat es gemerkt.“ Es fällt nicht leicht, das zu glauben. Bert Dietz, der erste Doping-Beichter berichtete, die Ärzte Heinrich und Schmidt hätten das Doping im Team systematisch organisiert.

Vielleicht bringt der heutige Freitag neue Erkenntnisse. In Kopenhagen will Bjarne Riis, 1996 Tour-Sieger für Team Telekom, vor die Presse treten.