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Höfischer Hochmut entfesselt Lustgewalten: Sven-Eric Bechtolf inszeniert Marivauxs „Der Streit“ im TiK

„Liebe, das ist ein Gefühl, auf dem alles beruht.“ In einer außergewöhnlich reizenden Form brachte Regisseur Sven-Eric Bechtolf dem Publikum diese These von Marivaux am Samstagabend im Thalia in der Kunsthalle näher. Der Streit – so paradox es klingen mag – behandelte das Thema Liebe. Als komödiantischen und einfachen Entwurf, wie es sein könnte, wenn nichts gewesen wäre.

Ein recht verderbter Prinz, dessen Seelen- und Lustleben nur erahnt werden kann (Hans Kremer), eröffnet seiner Geliebten ein lang angelegtes Experiment, in dem er klären will, welches Geschlecht das Böse ist: Vier Naturkinder – unter der Obhut ihrer schwarzen Erzieher getrennt aufgewachsen – werden einander zum ersten Mal zugeführt. Zwei Männer und zwei Frauen. Wie werden sich die Ahnungslosen gebärden? Voyeuristisch beobachten der Prinz, die Geliebte und letztlich das Publikum das Liebesspiel.

Auf der Bühne öffnet sich ein großer Sandkasten, mit einem Bach und einem kleinen Teich darin. Auf dieser Spielwiese treffen Egle (Sylvie Rohrer) und Azor (Martin Feifel) zum ersten Mal aufeinander. In unschuldigstem Staunen nähern sie sich. Sie finden sich großartig. Ohne jede Vorahnung begegnen sie dem Phänomen der Liebe. Und erschrecken, befühlen und beobachten sich, bis sie aneinander hängen und sich nicht mehr loslassen mögen. Ihre Erzieher Carise und Mesrou geben ihnen zurückhaltende Ratschläge. Doch viel ist da nicht zu tun.

Ganz spielerisch erforschen die beiden die Ebenmäßigkeit ihrer Gliedmaßen und das Prickeln von Nähe und noch mehr Nähe, sie sprechen freimütig aus, was sie an Begierde und Ichsucht überfällt. Egle will bewundert werden, Azor möchte nicht alleine sein. Wunderbar aufgeregt flattern Sylvie Rohrer und Martin Feifel in dem neu entdeckten Terrain des Begehrens herum. Lange läßt man sie jedoch nicht.

Als nächstes lernen sie ihr eigenes Geschlecht kennen. Egle trifft auf Adine (Nicola Thomas). Erneutes Abtasten und Annähern. Sie bemühen sich, aber was dabei heraus kommt, gehört zu der verrücktesten Szene des Abends. Beide verweigern sich die gegenseitige Bewunderung, also machen sie sich fertig. Mit soviel Hochmut und Naivität betreiben sie ihren Kampf, daß man sie auch ein wenig beneidet um ihre ungezügelte Haßleistung.

Auch Azor trifft auf einen Menschen seines Geschlechts – und schließlich als Idee des Experiments, beide Frauen auf den jeweils anderen Mann. Es kommt zum Verrat, zum Bruch, zum Streit.

Sven-Eric Bechtholf ist hier in Zusammenarbeit mit Bühne und Kostüm eine Kaprice gelungen. Ein ausgesucht pfiffiges Ensemble spielte die Figuren heraus. Hans Kremer und Charlotte Schwab beeindruckten in der höfisch-verderbten Geilheit genauso wie Annette Paulmann als schwarze Gouvernante der Zöglinge. Die scheue Zurückhaltung der schwarzen Frau legt sie unter einer wunderschönen Maske, teilweise in einer einzigen Handbewegung aus. Das junge Quartett, das da von allen beobachtet wird, schafft sich ohne Mühe in eine unschuldige Kindlichkeit.

Der Beweis der Schuld kann nicht erbracht werden. Das Experiment ist fehlgeschlagen und der aufgedeckte voyeuristische Zweck stellt den Streit in den Schatten. Die Versuchten schlachten den Prinz und seine Gefährtin und stellen damit beinahe wieder ihre Unschuld her. Die Zuschauer bleiben in einer nachdenklichen Konzentration zurück. Mit der verpaßten Chance der Unschuld. Elsa Freese

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