Höchste Alarmstufe bei Sommerwetter: Immer mehr Nichtschwimmer
Nur noch jedes zweite Grundschulkind kann sich sicher im Wasser bewegen. Vor ein paar Jahren waren es noch neun von zehn Kindern.
HAMBURG taz | Die Deutsche Lebensrettungsgesellschaft DLRG schlägt Alarm. Rechtzeitig zum großen Ansturm auf Nord- und Ostsee sowie die Badeseen warnt Frank Hertlein vom Lübecker DLRG. „Viele Kinder können nicht mehr richtig schwimmen“, sagt der Rettungsschwimmer. Konnten vor einigen Jahren noch neun von zehn Grundschulkindern bereits schwimmen, kann es heute nur noch jedes zweite. Damit steige, so Hertlein, die Gefahr von Badeunfällen. Für die Rettungsschwimmer des DLRG bedeute das erhöhte Alarmbereitschaft.
„Schwimmunterricht spielt im Lehrplan eine immer geringere Rolle“, sagt Hertlein. In Schleswig-Holstein etwa tauche der Schwimmunterricht in den Lehrplänen verpflichtend erst in Klasse fünf und sechs auf – viel zu spät. Zudem hätten viele klassische Schwimmbäder, etwa in Oldenburg oder Schwarzenbek, dichtgemacht.
Viele Bäder schließen
Bundesweit schlossen nach Erhebungen der DLRG in den vergangenen fünf Jahren 285 Bäder. Weitere 452 Schwimmbäder seien akut von der Schließung bedroht. Und für die einmal geschlossenen Bäder gebe es entweder gar keinen Ersatz oder nur sogenannte Spaßbäder. Die seien laut Hertlein aber „für den Schwimmmunterricht nur bedingt tauglich“.
„Es gibt weniger Schwimmunterricht, da viele Bäder geschlossen wurden und in ländlich geprägten Regionen wie Schleswig-Holstein die Anfahrt oft lang und aufwendig ist“, bestätigt Thomas Schunck, Sprecher des Kieler Bildungsministeriums. Die größte Verantwortung dafür, das Kinder rechtzeitig schwimmen lernen, liege allerdings bei den Eltern. Die müssten auch ihren Beitrag leisten, so Schunck.
In Norddeutschland starben 2012 nach Angaben der DLRG 109 Menschen durch Ertrinken. Nach Bundesländern aufgefächert lauten die Zahlen:
Niedersachsen: 49 (2011: 58)
Schleswig-Holstein: 22 (16)
Hamburg: 6 (12)
Bremen: 2 (1)
Mecklenburg: 30 (21)
Die Rettungsschwimmer der DLRG bewahrten im vergangenen Jahr 411 Menschen vor dem Ertrinken. Bei 29 Einsätzen mussten sie sogar ihr eigenes Leben aufs Spiel setzen, um ein anderes zu retten.
Das bestätigt auch seine Kollegin Christina Selzer aus dem Bremer Wissenschaftsministerium. Die Kinder brächten von Haus aus nicht mehr die motorischen Fähigkeiten wie früher mit und seien nicht ans Schwimmen gewöhnt. „Wenn ein Kind noch nie einen Fuß ins Wasser gehalten hat, bringt auch der beste Schwimmunterricht nichts“, sagt Selzer.
Das bestätigt auch Rettungsschwimmer Hertlein. „Kinder sollten von ihren Eltern früh ans Wasser gewöhnt werden und einfach nur planschen.“ Da die Kinder heute auch nach Hertleins Beobachtung weniger Grundkenntnisse als früher in den Schwimmunterricht mitbrächten, dauere der Unterricht immer länger. Die Schwimmkurse werden so gewissermaßen verstopft. „Schwimmvereine und der DLRG haben inzwischen Wartelisten von bis zu einem Jahr“, sagt Hertlein.
Die Folge: 2012 absolvierten in Schleswig-Holstein ein Drittel weniger Kinder Anfängerschwimmkurse bei der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft als noch 2004. Auch die Zahl der Jugendschwimm-Absolventen ging in diesem Zeitraum um ein Drittel zurück. An den schwindenden motorischen Fähigkeiten, die auch Hertlein attestiert, gibt er allerdings auch den gestrafften Lehrplänen eine Mitschuld. „Der Druck, der durch das Abitur nach zwölf Jahren entsteht, führt auch dazu, dass sich die Kinder noch weniger bewegen“, sagt Hertlein.
Immerhin: Damit die Kinder frühzeitiger schwimmen lernen, strukturiert Hamburg vom Sommer 2014 an seinen Schwimmunterricht um und steigert das Budget für den Schwimmunterricht gar von vier auf 4,65 Millionen Euro.
Der Kernpunkt der Hamburger Reform: Die Schwimmkurse, die sich bislang auf die Jahrgänge drei bis sechs verteilten, sollen nun auf die Klassenstufen drei und vier verteilt werden. Am Ende des Schulschwimmens sollen dann, so Schulsenator Thies Rabe (SPD), mindestens 95 Prozent der SchülerInnen das „Seepferdchen und 70 Prozent das Jugendschwimmabzeichen absolviert haben“.
Trotz der zahlreichen Probleme gibt es aber auch eine gute Nachricht: Die abnehmenden Schwimmfähigkeiten haben bislang noch nicht zu mehr schweren Unfällen geführt. Im vergangenen Jahr sank die Anzahl der Badetoten mit 386 auf ein Rekordtief. 109 davon kamen aus den norddeutschen Bundesländern. Die DLRG fordert nun, keine Schwimmbäder mehr dicht zu machen. Das wäre auch ein Schritt, um diese immer noch zu hohe Zahl weiter zu reduzieren.
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