Hockey-EM der Frauen: Exzellente Niederlage
Die deutschen Frauen zeigen im Finale gegen die Niederländerinnen eines ihrer besten Spiele und müssen sich dem Favoriten dennoch 2:3 geschlagen geben.
Exzellente Niederlage
AUS AMSTERDAM RONALD RENG
Sieger sind schlampig. Wo sie gerade standen, ließen die Niederländerinnen ihre Hockeyschläger einfach fallen. Und ein farbkräftiges Stillleben entstand: jubelnde orange Frauen neben wahllos herumliegenden Schlägern auf grünem Kunstrasen. Die Verlierer flüchteten sich in die Ordnung. Froh, etwas zu tun zu haben, so tun zu können, als gehe wenigstens etwas in geregelten Bahnen weiter, schlichen die deutschen Nationalspielerinnen am Samstag nach ihrer 2:3-Niederlage im Europameisterschaftsfinale in Amsterdam zur Ersatzbank und verstauten brav ihre Schläger im Sack. Und niemand wusste, dass ihnen der wahre Frevel erst bevorstand.
Die Niederländerinnen klauten ihnen die Musik. Als die Goldmedaillen an holländischen Hälsen baumelten, erklang zur Feier ein Lied, dessen Melodie die Deutschen doch gut kannten. Zu dem Sound hatten sie doch oft gefeiert; nur um dann zu erkennen, dass dies eine dreiste Cover-Version von "Viva Colonia" war, der Nationalhymne der Lustigen Republik Köln: "Dat is prima - Viva Hollandia!" Die Deutschen versuchten, auch dazu zu lächeln; sie hatten doch allen Grund, zufrieden zu sein, sagten sie sich, und in kurzen Momenten gelang es ihnen, sich selbst zu glauben.
Sie machten das Spiel ihres Jahres im EM-Finale. Präzise, gewagt, gelegentlich gar elektrisch in ihren Angriffen, stabil in der Abwehr, forderten sie den nun siebenmaligen Europameister und amtierenden Olympiasieger Niederlande heraus. "Da bleibt eine Riesengenugtuung", sagte Abwehrchefin Tina Bachmann. Bundestrainer Michael Behrmann war sich nicht so sicher. "In zwei Stunden fange ich vermutlich an, mich wahnsinnig zu ärgern, dass wir trotzdem verloren haben."
Aus diesem Gefühlschaos kamen sie nicht mehr heraus. Siege über die Niederlande wie 2007, als deutsche Frauen das einzige Mal Europameisterinnen wurden, waren immer eine Seltenheit, von daher ist Rang zwei nüchtern betrachtet kein Platz zum Ärgern. Doch dies sind die hohen Jahre des deutschen Frauenhockeys, seit ihrem Olympiasieg 2004 haben sie sich in der Weltspitze eingenistet, und auch mit einem Blick für die ganze Epoche ließ einen diese exzellent herausgespielte Niederlage im Zwiespalt. Tina Bachmann fand es eine Pracht, "wenn du im wichtigsten Spiel des Jahres deine beste Leistung abrufst". Trainer Behrmann dagegen fragte sich, "warum wir nicht öfters so eine Leistung bringen. Unsere einzige Konstanz diese Saison war die Inkonstanz."
Tatsächlich hat diese EM die Deutschen als eine Elf im Licht der Dämmerung porträtiert. Und man weiß nicht recht, geht da gerade ein Tag zu Ende oder beginnt doch ein neuer Morgen? Vom Finale abgesehen, spielten sie die gesamte Saison wie ein Team, dessen pralles Potenzial nicht zu übersehen ist, das es aber nie ausschöpft. Es ist das klassische Syndrom einer Klasseelf im Jahr nach Olympia, nach dem Höhepunkt, wenn es im Spiel hier zwickt und dort noch nicht richtig sitzt. Dabei wurde ein radikaler Umbruch nach Olympia 2008 vermieden, das Gerüst des Teams mit Tina Bachmann, Fanny Rinne oder Maike Stöckel blieb. Doch Behrmann sieht nicht zu Unrecht die Gefahr, dass das Zwicken das Symptom eines Teams in seinen späten Jahren ist und er auf dem Weg zu Olympia 2012 noch einige Säulen wie Kapitän Fanny Rinne, 29, oder Natascha Keller, 32, verlieren wird. Da einen fließenden Übergang zu einer neuen Elf zu moderieren, ohne an Klasse zu verlieren, ist eine Herausforderung. Das EM-Finale hat Behrmann nach einem Jahr, "wo wir zu oft zu schlecht spielten", doch noch illustriert, wie es weitergehen kann. Stürmerin Stöckel, die ein Jahr lang nicht so recht wusste, wohin mit dem Leben, und sich nun mit fünf Toren als drittbeste Schützin des Turniers etablierte, wie die dynamische Janne Müller-Wieland, 22, personifizierten diese Hoffnungen. Er sei stolz, sagte Trainer Behrmann, doch war der Ärger schon wieder größer: "Ein Tor wie eine dreckige Murmel" sei das 2:3 gewesen. "Lulli-Tore" nannte Bachmann alle drei Gegentreffer, als sie den Ball im eigenen Schusskreis schon sicher hatten und jedes Mal wieder verloren.
Im Festzelt lief nun schon wieder "Viva Hollandia!". Die Niederländerinnen tanzten eine Polonaise dazu. Die Deutschen saßen draußen vor der Tür. Noch in Wettkampfkleidung, versuchten sie tapfer die frische Abendluft und kalte Enttäuschung zu ignorieren. Die Silbermedaillen baumelten vor ihren Bäuchen, aber den einzigen Trost für Verlierer hielten Lina Geyer und Jennifer Plass in den Händen: eine Tüte Pommes frites.
"Unsere einzige Konstanz diese Saison war die Inkonstanz"
TRAINER MICHAEL BEHRMANN
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