Hochschulen: Prekäre Lehre
Die Lehrbeauftragten an Berliner Unis und Fachhochschulen bekommen einen Hungerlohn - obwohl sie es sind, die den Lehrbetrieb oftmals am Laufen halten. Ein Fallbeispiel.
Als Donna Browne 18 Jahre alt war, kam sie aus Irland nach Berlin. Anfangs putzte sie in einem Krankenhaus und arbeitete in einer Kneipe. Die Mauer stand zu der Zeit noch, es gab 8 Prozent Berlin-Zulage zum Lohn, und auch wenn Browne sich eine schönere Beschäftigung hätte vorstellen können, war sie doch ganz zufrieden. Sie verdiente recht ordentlich und konnte mit dem Geld die ersten Semester ihres Übersetzer-Studium finanzieren, das sie später in Großbritannien begann.
Heute, 18 Jahre danach, lehrt Browne an verschiedenen Berliner Universitäten und Fachhochschulen als Lehrbeauftragte Englisch. Sie muss keinen Putzlumpen mehr in die Hand nehmen, trotzdem fühlt sich die Irin wesentlich schlechter behandelt als damals. Es wird viel von ihr verlangt, aber ihr wird wenig dafür gegeben. Browne ärgert das, meint aber: "Ich hätte selbst im Libanon etwas besser Bezahltes haben können, aber ich bin gerne in Berlin. Deshalb versuche ich damit klarzukommen."
Die Freie Universität Berlin zahlt ihren Lehrbeauftragten seit Jahren 21,40 Euro für eine Dreiviertelstunde Unterricht. Mochten die Preise für Gas, Strom und Nahrungsmittel auch noch so sehr steigen, der Stundenlohn blieb konstant. Und Sicherheit gibt es nach wie vor nicht die geringste. Die Aufträge werden von Semester zu Semester vergeben. Theoretisch kann es immer sein, dass einer der etwa 4.000 freien Dozenten in Berlin dabei völlig leer ausgeht. Das stört jene von ihnen nicht, die einen völlig anderen Hauptberuf haben und nur nebenher unterrichten. Für Leute wie Browne, die den Lehrbetrieb an vielen Sprachzentren stützen, ist es oft der einzige Job.
Wenn sie einen neuen Übersetzungskurs übernimmt, muss Browne sich darauf vorbereiten. Sie recherchiert Texte in Bibliotheken, im Internet. Fast jede Woche geben ihr um die 15 Studenten dann eine DIN-A4-Seite "Translation" ab. Das zu korrigieren und die nächsten Unterrichtseinheiten zu planen, dauert 3 bis 4 Stunden. Sie gibt am Sprachzentrum der Uni drei Kurse, das macht in der Woche bis zu 12 Stunden - dazu kommt die reine Unterrichtszeit. Von insgesamt also rund 18 wöchentlichen Stunden an dieser einen Einrichtung bekommt sie 6 bezahlt, 128 Euro und 40 Cent. An den Fachhochschulen ist der Arbeitsaufwand oft geringer, der Stundenlohn aber nicht selten um etwa 10 Euro höher.
Nirgendwo darf Browne aber mehr als acht Semesterwochenstunden lehren, sonst würden Ansprüche entstehen, die keine Hochschule gewährleisten möchte. Wenn sie 24 Stunden in der Woche unterrichtet, was einer tatsächlichen Arbeitszeit von weit über 40 entspricht, kommt sie vielleicht auf 1.900 Euro im Monat. Allerdings nur während der Semester, in den Ferienmonaten schließlich gibt es kaum Kurse.
1.900 Euro minus Steuern, Krankenversicherung - und wenn es nach der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) ginge, würden ihr auch noch knapp 20 Prozent Rentenbeiträge abgezogen.
Das ist die neueste Sorge der Donna Browne, die klein ist, energisch und die eigentlich anders heißt, aber wegen dieser BfA-Sache lieber anonym bleibt. Vor einiger Zeit hat sie von dort ein Schreiben erhalten. Viele Freiberufler müssen nichts an die Anstalt abführen. Bei Lehrbeauftragten aber sieht das anders aus. Weil Browne lange nichts davon wusste, könnte die BfA nun auch die Beiträge für die vier zurückliegenden Jahre, in denen sie schon unterrichtet hat, einfordern. Manche Kollegen haben Rückforderungsbescheide von bis zu 20.000 Euro bekommen, das waren teilweise einige tausend Euro mehr, als sie in einem Jahr verdienten. Einige von ihnen, darunter auch Absolventen aus Oxford oder Cambridge, haben Berlin daraufhin wieder verlassen. Andere reagieren nicht auf die BfA-Forderungen. Bei einem ohnehin kargen Gehalt reißen 20 Prozent Abzüge das Einkommen schnell in existenzbedrohliche Tiefen.
Es ist ein anstrengendes Lehrleben, das Hetzen von Uni zu FH zu Uni, die Abhängigkeit von den Verantwortlichen an den Sprachzentren, die die Stunden zuteilen. Einem Kollegen von Browne sind kurz vor Semesterbeginn sämtliche Kurse an einer Fachhochschule gestrichen worden. Der hatte Kinder. Manchmal reicht es, wenn ein Student sich beschwert. Die Dozentin sei schlecht vorbereitet gewesen, habe nicht einmal eine Sprechstunde. "Ich habe ja auch kein Büro", sagt Browne. Die Besprechungen nach den Stunden ziehen sich lang genug hin, findet sie. Außerdem ist sie permanent per E-Mail erreichbar. Die zahlreichen Antworten, die sie verschickt, honoriert niemand. Es gibt Universitäten, die mit frecher Studentenkritik und mit der gesamten Situation fair umgehen. "Dort wird man gut behandelt, aber trotzdem schlecht bezahlt", sagt Browne.
Es gibt aber auch Vorgesetzte, die eigene Arbeit an Lehrbeauftragte delegieren, weil sie wissen, dass die Angst vor Auftragsverlusten groß ist. Browne wehrt sich mittlerweile, wenn FH-Dozenten ihr die eigenen Übersetzungsaufträge weiterleiten - mit der Bitte um schnelle Erledigung. Sie hat sich jahrelang auch viele von diesen zusätzlichen, unbezahlten Dingen aufschwatzen lassen. Bis der Arzt ein Magengeschwür diagnostizierte und sie warnte: Beim nächsten Mal könnte es tödlich sein. Wenn sie krank wird, hat sie sowieso keinerlei Absicherung. Das ist für die Lehre an den Universitäten wiederum ein Vorteil. Bei den freien Dozenten ist damit sichergestellt, dass sie ausgefallene Stunden auch nachholen. Sonst werden sie ihnen ja nicht bezahlt.
Vor einiger Zeit hatte sich Browne einmal ein Bein gebrochen. Da musste sie immer mit dem Taxi in die Uni fahren. Die Fahrt quer durch Berlin hat fast so viel gekostet, wie sie für den Lehr-Einsatz bekam. "Man nimmt so etwas in Kauf, weil man nicht rausfliegen möchte", sagt sie.
Sie nimmt es auch hin, weil sie den Weg kennt, der hinter ihr liegt, "ein dorniger". Ihre Laufbahn, die irgendwann zu einer akademischen wurde, ist lang. Nach ihrem ersten Berlin-Aufenthalt ging sie nach Großbritannien, studierte, kam aber immer wieder zurück, schließlich mit einem Uni-Abschluss als Übersetzerin. Sie hörte von Freunden, dass die Sprachschulen der Stadt Lehrkräfte suchen, und fing dort an. Da sei sie noch viel schlechter behandelt und bezahlt worden als an den Unis und FHs, erinnert sie sich. Sie war froh, als sie irgendwann vor Studenten stand, nicht mehr vor bunt zusammengewürfelten Sprachschulklassen. Immerhin sind die 21,40 Euro ab dem nächsten Frühjahr nun als Mindestlohn etabliert. Die Umstellung auf das Bachelor-System allerdings hat wieder einmal mehr Arbeit für die Lehrbeauftragten gebracht. Es finden mehr Leistungstests statt, also muss auch mehr korrigiert werden. Zusätzliche Entlohnung ist bisher jedoch nur für Zwischenprüfungen vorgesehen, die es so gut wie gar nicht mehr gibt, seit Bachelor und Master Diplom und Magister abgelöst haben. Browne weigert sich jetzt manchmal, diese Bachelor-Arbeiten Korrektur zu lesen. "Ich streike da", sagt sie. Sie muss an ihren Magen denken.
Im Grunde geht es ihr trotz alledem noch besser als einigen Kollegen. Browne hat Übersetzungswissenschaften studiert und sie ist vereidigte Übersetzerin. Nebenher kann sie wesentlich besser bezahlte Jobs übernehmen. Da verdient sie manchmal 500 Euro am Tag statt 500 in der Woche. Für solche Nebenbeschäftigungen findet sie andererseits nicht immer die Zeit, weil sie zusätzlich noch Literatur studiert, ein Zweitstudium. Ihr Ziel ist es, an der Uni, in Berlin zu bleiben. Deshalb nimmt sie das alles auf sich. Wenn ein Sprachzentrums-Chef sie mal wieder zu einem neuen, arbeitsintensiveren Kurs überreden möchte, sagt er auch gerne: "Denken Sie an ihre Laufbahn, Frau Browne." Sie tut das. Und sie hofft, dass sie eine feste Stelle bekommt, wenn sie ihr Studium einmal abgeschlossen hat. Sie würde dann gerne promovieren. Kürzlich ist eine Kollegin von ihr an der Uni angestellt worden. Die war schon 50. Donna Browne ist jetzt 36.
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