Hochschule: Technik vergrault Ost-Frauen

Studierwillige Frauen aus den neuen Ländern ziehen westwärts. Denn daheim dominieren Ingenieurs- und Naturwissenschaften, die sie nur selten wählen.

Sag mir wo die Frauen sind? Wo sind sie geblieben? Bild: dpa

BERLIN/POTSDAM taz Dem Osten laufen die Studentinnen davon. Anstatt in der Heimatregion zu studieren, zieht es viele nach Berlin oder in den Westen Deutschlands. Nach einer aktuellen Studie des Berliner Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie (FIBS) verlassen jährlich mehr als 10.000 junge Frauen die neuen Länder, um anderswo zu studieren.

Dieter Dohmen, Direktor des Instituts und Autor der Studie, begründet dies vor allem mit dem hohen Anteil ingenieur- und naturwissenschaftlicher Fächer, die in ihrer jetzigen Form für Frauen wenig attraktiv seien. "Frauen sind vielfach praktisch gezwungen, zu wandern", sagt Dohmen. Sollte der Trend der Abwanderung von hochqualifizierten Frauen weiter anhalten, droht dem Wirtschaftsstandort Ostdeutschland ein noch größerer Fachkräftemangel, als es die demografische Entwicklung allein schon befürchten lässt. "Grundsätzlich ist die technische Orientierung nicht verkehrt", sagt Dohmen. Allerdings müssten auch Frauen als Zielgruppe angesprochen werden.

Derzeit stehen den wegziehenden Frauen pro Jahr noch 3.860 zuwandernde Männer gegenüber, die in Ostdeutschland ein Studium aufnehmen. Eine Zahl, die in Zukunft sinken könnte. Viele Männer möchten nicht in Orte ziehen, in denen es wenig Frauen gibt, vermuten Experten. In der Region sind nur noch 45,7 Prozent der Einwohner zwischen 20 und 30 Jahren weiblich.

Gerade die von Wirtschaft und Politik oft geforderte Ausrichtung auf technisch-praktische Studiengänge könnte sich damit langfristig negativ auf den Standort Ostdeutschland auswirken. Bei der Wahl des Studienorts "spielt die Attraktivität des gesamten Standorts eine Rolle", sagt Frank Ettrich von der Uni Erfurt. Und dazu gehöre auch eine gesunde Bevölkerungsstruktur. Die sogenannten weichen Faktoren seien an den ostdeutschen Hochschulstandorten bisher eher vernachlässigt worden, so Ettrich, der die Sozialstruktur moderner Gesellschaften erforscht. Die geisteswissenschaftliche, besonders auf Pädagogik ausgerichtete Universität Erfurt hat einen Frauenanteil von mehr als 70 Prozent und versucht mit Initiativen wie dem "Studieren mit Kind" gegen den Trend der Abwanderung anzukämpfen.

Studien-Autor Dohmen fordert eine stärkere interdisziplinäre Ausrichtung der Fächer. Er verweist auf das Modell der TU Chemnitz, das geisteswissenschaftliche Studiengänge mit ingenieurwissenschaftlichen verbindet. "Es ist wichtig zu schauen, wo man sich profilieren kann", sagt Dohmen. Ein einmaliges Angebot an Fächern steigere die Attraktivität.

Doch oft wollen junge Frauen aus dem Osten gar nicht studieren. Die Bereitschaft, ein Studium zu beginnen, ist in den fünf neuen Ländern deutlich geringer als im Westen der Republik. Dies bestätigt eine Studie im Auftrag des Land Brandenburg, deren Ergebnisse Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU) am Mittwoch in Potsdam präsentiert hat. Obwohl in Brandenburg fast die Hälfte eines Frauenjahrgangs die Studienberechtigung erwerben, nehmen nur 61 Prozent von ihnen diese Möglichkeit auch wahr. Beides sind - einmal positiv, einmal negativ - Spitzenwerte in Deutschland.

Warum im Osten Deutschlands so viele Frauen nicht studieren, obwohl sie dazu berechtigt wären, begründet Wanka mit Mentalitätsunterschieden und mangelnder Information. Viele Schüler wüssten gar nichts von den Studiermöglichkeiten in ihrer Region. Ostdeutschen Frauen erscheine zudem oft eine nichtakademische Ausbildung als sichere Alternative, da sie in kürzerer Zeit absolviert werden könne, gute Jobchancen biete und die Möglichkeit, schnell Geld zu verdienen. "Diese Annahme ist falsch", sagt Wanka und verweist auf die Arbeitslosenquote von bis zu 20 Prozent bei Facharbeitern im Land.

"Ostdeutsche Frauen sind pragmatisch, sie wollen einfach früher Geld verdienen", sagt Peter Berger von der Universität Rostock. Der Soziologe vermutet, dass gut qualifizierte Frauen sich aus der Familientradition heraus gegen ein Studium entscheiden. "Sie kennen ihre Mütter als erwerbstätig und unterschätzen die wachsende Bedeutung von Bildung."

Ein größerer Frauenanteil im Lehrpersonal sei ein gutes Mittel, dem entgegenzusteuern. "Je mehr Frauen an der Universität lehren, desto attraktiver ist sie auch für Studentinnen", sagt er. Doch gerade bei den technischen Fächern besteht hier Nachholbedarf. So ist an den Hochschulen Mecklenburg-Vorpommerns zwar fast ein Drittel des wissenschaftlichen und künstlerischen Personals weiblich, in den Ingenieurwissenschaften beträgt der Anteil der Frauen jedoch nur vierzehn Prozent. Laut Wanka aber sind Frauen für andere Frauen ein wichtiges Vorbild - etwa wenn sie eine Fakultät leiten. "Das überzeugt mehr als Palaver", sagt Wanka.

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