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Historischer Wahlbetrug –betr.: „Historische Reform“ (Analyse), taz vom 19.1.99

[...] Der Sachverhalt: Am 9.3.98 brachten Margot von Renesse, Herta Däubler-Gmelin und andere einen Entwurf für ein Gleichbehandlungsgesetz ein, der unter anderem auch das Recht gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften regeln sollte (BT-Drucksache 13/10081). Der Inhalt kurzgefaßt: Volle bürgerlich-rechtliche Ehe für gleichgeschlechtliche Paare minus das Recht auf Adoption.

In einem Interview im September 1998 in der Hamburger Schwulenzeitschrift Hinnerk erklärte der jetzige Bundeskanzler Schröder: „Ich meine, was ich sage. Neben anderen Maßnahmen gegen die Diskriminierung wollen wir mit dem im März von uns in den Bundestag eingebrachten Gleichbehandlungsgesetz für lesbische und schwule Lebensgemeinschaften das Rechtsinstitut ,Lebenspartnerschaft' schaffen, das die gleichen Rechte und Pflichten wie in der Ehe umfaßt. Lediglich die adoptions- und sorgerechtlichen Regelungen sollen zunächst ausgenommen sein.“

Der jetzt von Jan Feddersen avisierte Entwurf aus dem Hause Däubler-Gmelin sieht lediglich Änderungen im Miet- und Erbrecht vor. Es darf also konstatiert werden, daß die SPD mit Gerhard Schröder an der Spitze die lesbischen und schwulen WählerInnen vor der Wahl über die „real existierenden“ Absichten der SPD bewußt getäuscht hat.

Dieser Sachverhalt wird durch die in kirchlichen Kreisen umlaufenden Gerüchte noch verstärkt, die SPD-Kirchenbeauftragte Herta Däubler-Gmelin habe den katholischen Bischöfen bereits vor der Wahl zugesichert, es werde Änderungen entsprechend ihrem eigenen Gesetzentwurf nach der Wahl mit der SPD nicht geben.

Sei dem, wie es sei, bestürzend ist die Tatsache, daß in der taz jetzt ein Artikel erscheint, der den Betroffenen den offenkundigen Wahlbetrug der SPD als „historische Reform“ verkaufen will. Noch schlimmer dabei, daß Jan Feddersen dabei mit dem Argument operiert, daß ja nichts unternommen werden dürfe, was die CDU/CSU erregen könnte.

Ich hätte eigentlich erwartet, daß Ihre Zeitung in einem Beitrag, der als „Analyse“ erscheint, Ihrer journalistischen Sorgfaltspflicht zur vollen Information Ihrer LeserInnen etwas genauer nachgekommen wäre. Aber vielleicht haben Sie ja das Gefühl, daß nach der vielfältigen Kritik rechter Blätter an der Bundesregierung diese nun etwas „Jubelschreibe“ von Ihrer Seite bitter nötig hat. Klaus Kronberg, Hamburg

Jan Feddersens Artikel ist in meinen Augen eine einzige Entschuldigung für das Einknicken der SPD in der Schwulenfrage. Vor der Wahl hatten wir es von gerade dieser Partei anders gehört. Traurig dabei, daß Jan Feddersen voll auf der „christlichen“ Klischeeschiene abfährt und uns das falsche Schreckbild verkaufen will, daß die Verfassung die Gleichberechtigung von Lesben und Schwulen in dieser Gesellschaft geradezu verbiete.

Schlimm, daß Sie in Ihrer Zeitung dieser Lebenslüge der CDU/ CSU so blauäugig Platz einräumen. Lassen Sie sich von einem „Dorfbewohner“ sagen: Auch hier im tiefsten Dithmarschen ist die Integration schwuler Lebensgemeinschaften in die Soziostruktur mittlerweile kein Thema mehr.

Selbst die deutsche Versicherungswirtschaft erkennt lesbische und schwule Lebensgemeinschaften immer häufiger voll an. Traurig, daß die „Analyse“ Ihrer Zeitung und das Bewußtsein Ihres Autors hinter den gesellschaftlichen Ansichten zum Beispiel der Arag so weit zurückbleiben. Jan Knottnerus, Gudendorf

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