: Hirten gegen Metzger
KONFLIKT Im Ferghanatal prallen seit Jahrhunderten Völker und Kulturen aufeinander. Heute nutzen politische Brandstifter die alten Feindbilder – und einer Region droht das Chaos
AUS BISCHKEK MARCUS BENSMANN
Nach der Zerstörung der usbekischen Wohnviertel in den südkirgisischen Städten Osch und Dschalalabad gab es tagelang kein Fleisch zu kaufen. Vor den Unruhen führte der kirgisische Hirte den Hammel von der Weide in den Bergen zum Markt und verkaufte ihn an den usbekischen Metzger. Nach den Unruhen waren die usbekischen Fleischer entweder tot oder geflohen, ihre Läden zerstört oder für die Kirgisen nicht mehr zugänglich. Nach dem Morden vermeiden es Usbeken und Kirgisen, einander zu begegnen, der Warenaustausch zwischen ihnen ist unterbrochen. Die Wurzeln der Gewalt liegen im Ferghanatal im traditionellen Konflikt zwischen Sesshaftigkeit und Nomadentum.
Bisher bildeten die Usbeken in den Zentren Dschalalabad und Osch den Hauptteil der städtischen Bevölkerung, sie betrieben Handwerk, Dienstleistungen und Handel, in Stadtnähe auch Landwirtschaft. Hingegen findet sich kaum ein kirgisischer Schreiner, Schuster oder Maurer. Die Kirgisen leben in den Bergdörfern eher kärglich von Viehzucht. Während viele dort ohne Strom, Arbeit und Perspektive leben, stellen die Kirgisen in den Städten als Angehörige der Titularnation die Beamten. Außerdem sind sie in den neuen Branchen wie Mobilfunk oder im Technikhandel tätig.
Der wirtschaftliche Erfolg hat einigen Usbeken Reichtum beschert, vor allem hat er aber in den Städten Osch und Dschalalabad eine relativ wohlhabende usbekische Mittelschicht hervorgebracht. Dieses wirtschaftliche Gefälle führt zu einem festsitzenden Sozialneid und zu abschätzige Stereotypen übereinander.
Viele Usbeken sehen in einem Kirgisen entweder den korrupten Staatsbeamten oder Polizisten – oder den besoffenen Habenichts aus dem Bergdorf. Für viele Kirgisen ist der Usbeke der geldfixierte Händler, der sich um eines Vorteils willen den Mächtigen andient.
Auch beim Fleisch spiegelt sich dieser Neid. Ein kirgisischer Zöllner beklagte sich, dass der kirgisische Hirte für einen Hammel nur 4.000 Som (ca. 74 Euro) erhält, während der usbekische Metzger für das Fleisch schon 5.000 und der Schaschlikbräter sogar 7.000 Som erhält.
Der ethnische Gegensatz ist im Ferghanatal eingebettet in langjährige Anarchie. Die Drogenroute aus Afghanistan, die hier verläuft, hat Unterweltgrößen reich gemacht. Provinzpolitiker haben sich Privatarmeen zugelegt. Die Staatlichkeit ist von den ständigen Umstürzen ausgehöhlt. Es bedurfte nur eines Funkens, um das Gemisch zur Explosion zu bringen.
Das Militär in Kirgisien ist monoethnisch und konnte in den Konflikten der letzten Wochen nicht vermitteln. Dass das so ist, liegt im kirgisischen Streben, den eigenen Sprösslingen Posten zu verschaffen, aber auch daran, dass sich die Usbeken dem Wehrdienst in Kirgisien durch Bestechung entziehen. Der kirgisische Taxifahrer, aber auch der auf einer Universität des Landes ausgebildete Staatsdiener liefern folgende Argumentation: Die kirgisische Großzügigkeit hätte es den Usbeken im Süden des Landes erlaubt, erfolgreich zu wirtschaften. Doch anstatt der Titularnation dankbar zu sein, hätten die Usbeken den Wohlstand missbraucht, um eigene Forderung zu stellen.
Auch bei der kirgisischen Intelligenz ist derzeit immer wieder zu hören, dass das Titularvolk zu lange und zu großzügig mit den Usbeken umgegangen sei. Eine überwiegende Zahl der Kirgisen, aber auch das kirgisische Außenministerium beklagen nach der Gewalt in Osch und Dschalalabad zudem, dass die Weltpresse zu einseitig berichtete. Die Kirgisen sehen sich als Opfer – ungeachtet der Tatsache, dass einem Dutzend verbrannter kirgisischer Geschäfte ganze usbekische Wohnviertel in Osch, Dschalalabad und Kurgan Basar gegenüberstehen, die niedergebrannt wurden. Über hunderttausend Usbeken flohen ins Nachbarland Usbekistan. Die Zahl der Toten dürfte die bisher offiziell genannten 214 Toten um das Zehnfache übersteigen. Beobachter gehen davon aus, dass siebenmal mehr Usbeken umgekommen seien als Kirgisen.
Doch die Kirgisen geben den Usbeken die Schuld, dass die Gewalt vor zwei Wochen wieder aufgeflammt ist. Sie betonen, dass in der Nacht zum 11. Juni bewaffnete Usbeken ein Studentenwohnheim in Osch überfallen und kirgisische Studentinnen vergewaltig haben sollen. Am nächsten Morgen hätten Kirgisen aus den Bergdörfern dann versucht, in die Stadt zu gelangen, seien aber von schwer bewaffneten Usbeken aufgehalten worden. Der kirgisische Stadtrat Askar Schakirow habe versucht zu vermitteln und sei von usbekischen Scharfschützen getötet worden, so wie andere Kirgisen auch. Erst danach hätten Kirgisen die Stadt gestürmt.
Beide Seiten behaupten, dass sie nur mit Steinen und Stangen bewaffnet gewesen seien, die andere Seite jedoch mit Maschinengewehren. Fotos zeigen zumindest, dass kirgisische Marodeure von Panzerwagen unterstützt wurden und Kalaschnikows hatten. Zudem konnte bisher kein Kirgise erklären, wieso trotz der angeblich so starken Bewaffnung der Usbeken hauptsächlich die usbekischen Viertel eingeäschert wurden.
Vor der Gefahr des wachsenden Nationalismus hat Russlands Präsident Medwedjew am Donnerstag gewarnt. Er habe die Sorge, dass Kirgisien an den Unruhen zwischen Kirgisen und der usbekischen Minderheit „auseinanderbrechen“ könnte, sagte Medwedjew am Donnerstag nach Gesprächen mit US-Präsident Barack Obama in Washington. Die Entsendung von Soldaten lehnte er ab.
Durch den wachsenden Nationalismus besteht die Gefahr, dass Kirgisien zum Jugoslawien Zentralasiens werden könnte.