Hirnschrittmacher für Parkinsonpatienten: Fernbedienung fürs Gehirn
Hirnschrittmacher können Parkinsonkranken helfen. Vermutlich sogar dauerhaft. 30.000 Parkinsonkranke haben in Deutschland bereits einen Hirnschrittmacher.
Heinz. K. hat Parkinson. Mit kleinen Schritten schlurft er vorwärts und versucht, die kurze Strecke vom Küchentisch ins Wohnzimmer zu überwinden. Seine Mimik ist starr, sein Körper vornübergebeugt. Sein rechter Arm zittert leicht. Seit 15 Jahren leidet er an der fortschreitenden Nervenkrankheit, die auch Schüttellähmung genannt wird. Mittlerweile wirken die Medikamente nicht mehr. Heinz K. gilt als austherapiert. Einziger Ausweg: ein Hirnschrittmacher, ein Neuroimplantat, eingesetzt in seinen Kopf. Damit soll sein Leben wieder besser werden.
Heinz K. war 50 Jahre alt, als die Ärzte bei ihm Parkinson diagnostizierten. Im Laufe der letzten 15 Jahre ist das Zittern von Armen und Beinen immer schlimmer geworden, die Muskeln sind steif. Sein Gehen ist Trippeln. Selbst die kleinsten Gesichtsmuskeln sind erstarrt. Das Gesicht von Heinz K. wirkt wie eine Maske. "An manchen Tage ist allein das Zubinden der Schuhe eine unüberwindbare Aufgabe für mich", sagt Heinz K. Doch was ihn noch viel stärker belastet, ist die soziale Isolation, die oft mit dieser Krankheit einhergeht. Die Reaktionen seiner Umwelt erschreckten ihn mitunter. "Wenn ich bei der Post unterschreibe und dabei zittere, denken alle erst mal, ich hätte ein Alkoholproblem." Unendlich peinlich sei ihm das.
Wie er leiden in Deutschland 250.000 Menschen an der den Körper zerrüttenden Krankheit. Mehr als 30.000 von ihnen haben sich bisher einen Hirnschrittmacher implantieren lassen. Denn was nach einem Horrorfilm klingt, ist seit Anfang der Neunzigerjahre Realität.
Dieser Artikel wurde der aktuellen sonntaz vom 15./16.8.09 entnommen - ab Sonnabend zusammen mit der taz am Kiosk erhältlich.
Der Neurologe Andreas Kupsch und sein Team an der Berliner Charité arbeiten schon einige Jahre an der Entwicklung von Hirnschrittmachern, die bei Patienten mit Bewegungsstörungen zum Einsatz kommen. Die sogenannte Tiefe Hirnstimulation (THS), die durch den Hirnschrittmacher bewirkt wird, hilft insbesondere austherapierten Parkinsonpatienten. Aber auch die Beschwerden von Menschen, die aufgrund anderer Krankheiten zittern, werden damit gelindert. Derzeit arbeitet man an der Charité, so Kupsch, zudem daran, die Leiden von Schwerstdepressiven mit Hirnschrittmachern zu lindern.
Bei Parkinsonkranken bringt der Hirnschrittmacher durch sanfte Stromstöße die Zellen im Mittelhirn, die durch die Nervenkrankheit absterben und den wichtigen Botenstoff Dopamin nicht mehr produzieren, wieder in Gang. Dopamin steuert die Bewegungsabläufe der Muskeln von Armen und Beinen. Ohne Dopamin keine Bewegung.
Der Eingriff ist gewagt. Um den Hirnschrittmacher zu implantieren, bedarf es Präzisionsarbeit am Operationstisch. Über ein winziges Bohrloch in der Schädeldecke schieben Neurochirurgen eine feine Elektrode in den Bereich des Gehirns, in dem die Zellen zum großen Teil abgestorben sind. Die Elektroden sind mit dem Schrittmacher verbunden, den die Ärzte - ähnlich wie bei einen Herzschrittmacher - unter die Haut im Bereich der Brust implantieren. Der Schrittmacher sendet über die Elektroden feine Stromimpulse in die kranken Teile des Gehirns. Dadurch werden die restlichen Nervenzellen stimuliert, und Dopamin wird ausgeschüttet.
Durch die dauerhafte Reizung der Hirnregionen verschwindet schließlich das Zittern, und die Bewegungen werden geschmeidiger. Bereits während der Operation zeigen sich Ergebnisse. Die Ärzte wecken den Patienten während des Eingriffs auf, kurz nachdem sie die Elektroden im Gehirn platziert haben, und testen bestimmte Bewegungsabläufe. Kann der Patient seine Hände ohne zu zittern und zu zögern bewegen, sind die Elektroden am richtigen Ort.
Für die Patienten ist der Hirnschrittmacher nach der Operation per Fernbedienung leicht zu bedienen. Damit kann jeder selbst bestimmen, wie stark die Stromimpulse sein sollen. Je nachdem, wie schlimm das Muskelzittern und die Muskelsteifigkeit in dem Moment sind. Denn die Krankheitssymptome sind nicht immer gleich stark.
Risikolos ist der Einsatz eines Hirnschrittmachers aber nicht. Denn Nebenwirkungen sind nicht ausgeschlossen. Bei ungefähr 4 Prozent der Eingriffe können größere Verletzungen an Blutgefäßen entstehen, mit ähnlichen Folgen wie bei einem kleinen Schlaganfall. Auch gesunde Bereiche, wie etwa das Sprachzentrum, könnten während des Eingriffs verletzt werden.
Ob Heinz K. diese Risiken eingehen will, darüber ist er sich noch nicht im Klaren. Insbesondere weil eines sicher ist: Der Hirnschrittmacher wird ihn nicht heilen. Er kann aber, wenn die Operation gelingt, die Symptome der Krankheit erträglicher machen und die Lebensqualität steigern. "Und zwar vermutlich dauerhaft", meint Andreas Kupsch von der Charité. Die Langzeitstudien umfassen bisher erst einen Zeitraum von etwa zehn Jahren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
„Männer“-Aussage von Angela Merkel
Endlich eine Erklärung für das Scheitern der Ampel
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“