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Hintergrund des Putsch in Mali„Genug ist genug“

Der Putsch war eine „Implosion des Regimes“, sagt Henner Papendieck, Gründer des Entwicklungsprogramms „Mali-Nord“. Dass die Soldaten selber regieren wollen, glaubt er nicht.

In der Hauptstadt wurden die Soldaten für den Putsch gefeiert. Bild: dapd
Interview von Katrin Gänsler

taz: Am 21. März hat es in Mali einen Militärputsch gegeben. Kam das überraschend?

Henner Papendieck: Ich habe mich gefragt, ob die Putschisten am Morgen des 21. März schon wussten, ob sie am Abend putschen würden. Ich denke, es war eher die Implosion eines Regimes, das sich überlebt hatte. Auslöser war der Besuch des Verteidigungsministers am Vormittag in einer Kaserne. Er wollte die Soldaten in den Norden schicken, in das Kriegsgebiet, wo die Tuareg-Rebellenarmee MNLA (Nationalbewegung zur Befreiung von Azawad) auf dem Vormarsch ist. Viele von ihnen hatten das aber gerade erst erlebt und sagten: Genug ist genug. Wir haben keine Waffen und keine Munition. Wir haben keine Lust, Kanonenfutter zu werden.

Dabei haben doch die USA die malische Armee unterstützt, zum Kampf gegen Islamisten.

Ich erinnere mich, dass in Timbuktu Flugzeuge direkt aus Frankfurt ankamen. Es waren Spezialeinheiten, die mit der Armee Übungen zur Terrorismus-Bekämpfung machten. Aber wenn die Spezialkräfte ankamen, wo sie die Terroristen vermuteten, waren diese schon von Verwandten aus der Antiterroreinheit vorgewarnt worden. So hat man nicht viele gefunden.

Wer sind die Putschisten?

Das sind die einfachen Soldaten und die Unteroffiziere. Am Tag nach dem Putsch gab es den ersten Fernsehauftritt. Der war sehr unbeholfen. Ich hatte den Eindruck, selbst der Name „Nationalkomitee zur Aufrechterhaltung der Demokratie und zur Wiederherstellung des Staates (CNRDRE) war erst am Nachmittag festgelegt worden. Die konnten weder die Abkürzung noch den Namen richtig aussprechen. Das ist Mannschaftsniveau.

privat
Im Interview: HENNER PAPENDIECK

gründete 1994 das deutsche GTZ-Programm Mali-Nord zur Entwicklung und Dezentralisierung der Tuareg-Region. Er leitete es bis 2010. Die taz traf ihn in Bamako.

Könnte diese Gruppe nun Mali auch regieren?

Nein, das denke ich nicht. Sie wäre überfordert. Die Soldaten wollten nur, dass mit dem alten Regime Schluss ist. Der gestürzte Präsident Amadou Toumani Touré (ATT) hat ja am Ende nur noch Verzweiflungstaten begangen. So hat er einem Großhändler Geld gegeben, der damit Waffen und Munition kaufen sollte. Die sind offenbar nie angekommen. Es entstand der Eindruck, alle bereichern sich und die Soldaten werden geopfert. Wenn diese Gruppe sich zutraut, Mali zu regieren, bewiese das einen großen Mangel an Einsichtsfähigkeit. Ich glaube aber, Amadou Haya Sanogo (Präsident des Nationalkomitees) möchte eine Regierung der nationalen Einheit bilden und ehrliche Wahlen veranstalten.

Entscheidend ist auch, wie die Tuareg-Rebellion im Norden beendet werden kann.

Es muss zu einem Waffenstillstand kommen. Jetzt gibt es zumindest einen Verhandlungspartner ohne Scheuklappen. ATT hat immer geglaubt, die Ifoghas (Tuareg des Adrar) seien sein Hauptfeind, und hat alle gegen sie mobilisiert. Jetzt scheint mir das sehr viel neutraler. Die Leute des CNRDRE scheinen mir relativ nüchtern, und sie wollen ihre Soldaten nicht verheizen.

Die erste Tuareg-Rebellion hat es allerdings schon vor ATTs Amtszeit gegeben. Könnten die wirklichen Ursachen noch viel weiter zurückliegen?

Ja. Als die Unabhängigkeit kam, hatte Mali das französische Kolonialerbe eines Zentralstaats, der von einem klugen und starken Mann regiert werden soll. Stammeszugehörigkeiten sollten überwunden werden. Nomaden passten überhaupt nicht in dieses Konzept. Sie galten quasi als Landstreicher. Vielleicht muss man ganz neu über mögliche Autarkiemodelle und Autonomiemodelle nachdenken.

Wie sieht die Lage im Norden derzeit aus?

Der Norden ist dabei, an die Rebellen zu fallen. Die Stadt Kidal ist umstellt. Bei Gao und Timbuktu ist die Frage, ob die MNLA die Städte einnehmen will.

Haben die Putschisten Unterstützung, oder wächst jetzt doch zunehmend Kritik?

Ich habe Mali als ein verblüffend arrangierfreudiges Land kennengelernt. Menschen wechseln problemlos von heute auf morgen die Seite. Man schaut jetzt in Bamako, wie die Sache ausgeht, und meldet sich zwischenzeitlich schon einmal bei Herrn Sanogo, um zu signalisieren, man könne bei der Lösung vielleicht behilflich sein.

Wie könnte die internationale Gemeinschaft mit dem Putsch umgehen?

Sie kann nicht sagen: Die Putschisten haben die Macht, und wir brechen alle Gespräche ab. Man wird sich eine Hintertür offen lassen. Denn an Mali gibt es große Interessen. Wer will denn, dass die Tuareg-Rebellion völlig gewinnt? Dass al-Qaida im Islamischen Maghreb (AQMI) ungestört agieren kann? Vernünftig wäre es, wenn man eine Lösung bis Ende des Jahres anstrebte. Erst einmal hängt aber alles davon ab, was bei den Verhandlungen zwischen Nationalkomitee und den Rebellen herauskommt.

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