■ Hinterbank: Grüne Chöre
Immer wenn Elisabeth Ziemer in letzter mit ihrem Kalender in die Arbeitszimmer der bündnisgrünen Fraktion tritt, greift sich mancher ihrer Kollegen vorsorglich an den Hals und räuspert sich heftig. Sind die Stimmbänder noch straff genug für den nächsten Auftritt? Die baupolitische Sprecherin gilt als heimliche Chefin des grünen Fraktionschors. Und der ist, gerade jetzt im Wahlkampf, mächtig gefragt.
Kaum ein alternatives Fest im Kiez, stöhnt da die Abgeordnete Renate Künast, verginge ohne grünes Liedgut. Schlager der zwanziger Jahre sind mächtig gefragt, besonders solche, die an rot-grüne Beziehungskisten erinnern. Hitverdächtig ist etwa das Lied „Liebling, was wird nun aus uns beiden“.
Der Chor wurde vor rund zwei Jahren gegründet, nachdem die Bündnisgrünen regelmäßig zur Weihnachtszeit Lieder trällerten. „Man ahnt ja gar nicht, wie kleinbürgerlich wir sein können“, erinnert sich Künast. Aus der sentimentalen Erinnerung an traute Weihnachtsrunden wurde bald ein feste Truppe.
Als das Abgeordnetenhaus 1994 zum Abschied der Alliierten die Öffentlichkeit einlud, mußte der grüne Chor seine Staatstreue beweisen und der Präsidentin vorab das Liedgut vorlegen. „Die hatten Angst, daß wir die Internationale anstimmen“, erinnert sich Künast.
Nicht alle sind so stimmgewaltig wie Künast oder die Träller-Ziemer. Ausländersprecher Ismail Kosan gilt gar als „Brummer“, Fraktionschef Wolfgang Wieland kann zwar grandios texten, versteckt sich aber bei öffentlichen Auftritten lieber in der dritten Reihe, wegen der Disharmonien. Nur einer entzog sich bislang beharrlich den musikalischen Sangespflichten: Fraktionsgeschäftsführer Jürgen Wachsmuth. Severin Weiland
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