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Hilflose Menschenrechtler

Die parlamentarische Versammlung des Europarates hat die Kurden entdeckt und veranstaltet einen Kniefall vor der türkischen Regierung  ■ Aus Straßburg Dorothea Hahn

Mit müden Gesichtern hocken die Frauen, Männer und Kinder vor den abgenutzten Zelten auf dem Bürgersteig. „Gegen den Völkermord“ und „Für eine Friedenskonferenz“ haben sie auf ihre Hemden geschrieben und auf die blutroten Transparente, die sie so aufgestellt haben, daß sie von dem pompösen Gebäude auf der gegenüberliegenden Straßenseite gut lesbar sind. Seit elf Tagen führen sie diesen Hungerstreik zur Unterstützung ihrer verfolgten kurdischen Landsleute im Irak. Jetzt hoffen die 33 hungerstreikenden Kurden, von denen die meisten vor Jahren selbst als Flüchtlinge nach Frankreich gekommen sind, auf ein deutliches Zeichen aus dem Palais d'Europe.

Drinnen tagt in dieser Woche die Parlamentarische Versammlung des Europarates, die älteste europäische Institution, die 1949 mit dem Ziel angetreten ist, die Menschenrechte zu verteidigen. Dieses Mal wollen sich die Parlamentarier auch mit der Situation der kurdischen Flüchtlinge befassen. Dabei geht es ihnen nicht nur um die zwei Millionen Menschen, die jetzt auf der Flucht sind, sondern auch um jene 60.000 Kurden, die 1988 nach irakischen Giftgasangriffen aus den irakischen Halabja in die Türkei fliehen mußten und seither dort in Lagern leben. Vor mehr als einem Jahr, im März 1990, war eine Delegation des Europarates im Südosten der Türkei, um diese drei Lager — in Mardin, Diyarbakir und Mus — zu besuchen (wobei sie von den türkischen Behörden nicht überall eingelassen wurden). Der Bericht über diese Reise war seither regelmäßig von den Tagesordnungen des Europarates gestrichen worden. Erst die Tragödie von zwei Millionen zusätzlichen Flüchtlingen hat jetzt dazu geführt, daß der Bericht öffentlich wurde.

Der lange zurückgehaltene Bericht aus den Lagern kommt einer moralischen Verurteilung jedoch verdächtig nahe. Er beschreibt das Arbeitsverbot für Erwachsene, das Schulverbot für Kinder, das Ausgangsverbot, er nennt stark rationierte Lebensmittel und Probleme mit vergiftetem Essen und Wasser. Die türkische Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Mit siebzehn Änderungsanträgen sorgten die türkischen Parlamentarier im Europarat dafür, daß jede Erwähnung der Begriffe „Flüchtling“ und „Kurde“ gestrichen wurde. „Kurden“ gab es nach offizieller Lesart in der Türkei bis vor wenigen Wochen überhaupt nicht — lediglich zehn Millionen „Bergtürken“ — und die Anerkennung als „Flüchtlinge“ würde die Halabja-Opfer unter den Schutz des UNHCR stellen. Nach den türkischen Interventionen war der Rest in der Europarat-Veranstaltung Routine. Einstimmig wurden Bericht und Änderungsanträge angenommen.

Zur aktuellen Situation der kurdischen Flüchtlinge lieferten die Parlamentarier des Europarates und sein höchstes beschlußfassendes Gremium, der Ministerrat, gestern Erklärungen des Bedauerns und der Solidarität. Der Irak wurde verurteilt, die Türkei für ihr Engagement gelobt. Im übrigen schlossen sich die Versammelten den Resolutionen der Vereinten Nationen an.

„Mehr konnte man nun wirklich nicht erwarten“, sagte anschließend der spanische Abgeordnete Cuco, der sich in der Debatte zuvor mit ketzerischen Fragen nach einem Autonomiestatut für Kurden hervorgetan hat. „Die Kurden“, so Cuco, „sind ein völlig neues Thema für uns.“ Anschließend machte er sich auf den Weg zu einem wichtigen Abendtermin mit den Türken. Die Kurden vor der Tür hungerten sich unterdessen dem zwölften Tag ihres Streiks entgegen.

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