: „Hier kommen Sie nicht durch“
Letzte Woche, noch vor der totalen Abriegelung der besetzten Gebiete. Die Journalisten an der Straßensperre gestoppt: „Hier können Sie nicht durch, das ist militärisches Gebiet“, meint der junge israelische Soldat gelassen, der mit zwei ebenso jungen Kameraden an der Dorfeinfahrt Wache steht. Zu dem Palästinenserdorf Kabatieh im Norden der Westbank führt jetzt nur noch ein mühseliger Fußmarsch über die frühlingsgrünen Hügel. In den Straßen der 12.000–Seelen–Gemeinde herrschen Angst und Verunsicherung vor. Seitdem die Einwohner Muhammed A–Ragheb, einen mutmaßlichen Mitarbeiter des israelischen Geheimdienstes, an einem Strommast aufgehängt haben, regiert hier die israelische Armee. Die beiden Zufahrtsstraßen sind blockiert, die Strom– und Wasserversorgung abgestellt, die Telefone gekappt und Lebensmittellieferungen in den Ort erschwert. Vier Wohnhäuser sind schon vor knapp einem Monat zerstört worden, über 200 meist junge Männer wurden, so erzählen Dorfbewohner, in Gefängnisse eingeliefert. Wohlweislich haben die israelischen Soldaten keine Frauen verhaftet. „Dann gäbe es nämlich Krieg“, meint ein junger Arbeiter ernsthaft. „Wir lassen uns nicht unterkriegen“, ruft ein anderer und fügt leise hinzu: „Aber Angst haben wir alle.“ Die Strafmaßnahmen sind die Antwort der Behörden auf einen Mord, den Dorfbewohner „Widerstand gegen Verräter in den eigenen Reihen“ nennen. Zwölf andere Informanten von Shin–Bet, dem israelischen Geheimdienst, haben daraufhin, so erzählen dieselben Einwohner, in einer Moschee ihre Waffen abgegeben und geschworen, nie mehr für Shin– Bet zu arbeiten. In jedem Dorf und jeder Stadt gab es vor dem Aufstand ein unsichtbares Netz von Informanten der israelischen Besatzungsbehörden. Sie überwachten Aktivitäten und Kontake der politisch Aktiven, die einen eigenen palästinensischen Staat in Westbank und Gaza fordern. Die Ereignisse von Kabatieh und die Ermordung eines arabischen Polizisten in Jericho bei Jerusalem leiteten eine neue Phase des palästinensischen Aufstands ein. Den Machtkampf in Städten und auch Dörfern, wo in der Vergangenheit „die palästinensische Sache“ eine geringere Rolle spielte, haben vorläufig die Aktivisten für sich entschieden. Israelische Waren werden weitgehend boykottiert, viele Arbeiter aus den besetzten Gebieten fuhren schon vor der Sperrung der besetzten Gebiete nicht mehr zu ihren israelischen Arbeitgebern, Vorladungen der Behörden werden vielfach ignoriert. Mehr als die Hälfte der arabischen Polizisten hat den Dienst quittiert, Angestellte der Verwaltung haben ihre Jobs aufgegeben: Es scheint sich im Untergrund der Westbank und des Gazastreifens eine Art Gegenregierung aufzubauen. Friedlich nebeneinander sammeln Mitglieder des fundamentalistischen „Islamischen Dschihad“ und solche Arafat–getreuer Gruppierungen Geld für arme Mitbürger. Sie organisieren Lastwagentransporte in abgeschnittene Dörfer wie Kabatieh oder stehen Seite an Seite bei den Straßenkämpfen gegen die „Hühner“, wie sie die Soldaten nennen. Fragt man sie, dann geben die Kämpfer offen zu, daß sie ihre eigene Organisation aufgebaut haben. Geheime lokale Komitees sammeln Gelder, beschließen über Demonstrationen - genauso wie über die Öffnungszeiten von Geschäften. Sie koordinieren den Boykott israelischer Waren, und inzwischen wird gar von eigenen Sicherheitskräften berichtet, die an die Stelle der zurückgetretenen Polizisten getreten sein sollen. Joachim Legatis
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