: Hier ist das Klischee Programm
■ Nach dem KurzFilmFestival im Zeise: Als Großvater Rita Hayworth liebte
Italien oder Deutschland, das ist die Frage für die 13-jährige Hannah und ihre Familie, als sie 1969 vor dem gescheiterten Prager Frühling fliehen. Eine Münze entscheidet für Deutschland. Aber die Welt schaut in dieser Zeit nicht nur auf die CSSR, wo Huak den Reformer Dubcek schließlich als Generalsekretär der KP ablöst und die „Normalisierung“ einleitet. Wer einen Fernseher hat, verfolgt die Apollo-Landung auf dem Mond. Hannah identifiziert sich mit den Astronauten, denn wie sie ist sie aus ihrer Umlaufbahn geworfen, die sich vor allem um den geliebten Großvater Zikmund drehte. Der Reformkommunist ist daheim geblieben und trotzt den Schikanen der Staatsmacht, er ist Hannahs Held. Anders als die Eltern „macht er immer, was er sagt“.
In Deutschland erwartet die Familie zuerst das Auffanglager, dann eine eigene Baracke, schließlich die eigene Wohnung. Hannahs kleine Schwester passt sich am schnellsten an, sie spricht bald nur noch deutsch. Als Hannah ihr das verbietet, verstummt sie ganz. Die Eltern lernen die Werte des Westens dagegen schnell zu schätzen. Dennoch wird Hannah am Schluss die Einzige sein, die in Deutschland ihre neue Heimat findet. „Die Wahrheit ist oft viel komplizierter“, dieser Satz fällt zweimal. Einmal ausgesprochen vom Vater während eines Verhörs der „Gegenspionage“ im Auffanglager, das andere Mal von einem ehemaligen Wehrmachtsoffizier, der in Prag stationiert war und Hannah Bilder von damals zeigt.
Dass es mit der Wahrheit nicht so einfach ist, nimmt auch Iva Varcová für ihre Geschichte in Anspruch. In ihrem Debüt entwirft die Regisseurin ein grellbuntes Bild vom Deutschland der späten 60er. Es ist so bunt, weil es aus Sicht der Einwanderer erzählt ist, die sich nicht wie der Großvater mit einem handsignierten Foto von Rita Hayworth als Ikone begnügen.
Es ist das Italien der kolorierten Postkarten, das die Familie beim Campingurlaub am See imaginiert, und es ist die Quelle-Warenwelt, die das neue, das bessere Leben verheißt. Staunend und ein biss-chen doof steht die Hausfrau vor der vollautomatischen Kaffeemaschine und lässt sich belehren, dass ungefilterter Kaffee krebserregend sei, so wie es die Bild-Zeitung einst von den „Ostzonensuppenwürfeln“ behauptete.
Die Klischees leben überall, auch in diesem Film. Allerdings sind sie hier Programm. Die Erwachsenen sind nur große Trottel, allein die Kinder schaffen es, hinter den offenbaren Schein der Dinge und Verhältnisse zu blicken. Darin wirkt der Film bisweilen wie eine Invasion des tschechischen Kinderfilms à la Pan Tau auf deutschen Boden, garniert mit Heino, Heintje und Howard Carpendale. Die liebenswerte Leichtigkeit der Vorbilder gelingt so nicht immer. Wenn im Fernsehen Dieter Thomas Hecks Hitparade läuft, schreit es einem „Kult!“ oder „Retro!“ von der Leinwand entgegen.
Was an der Geschichte interessant ist, wird dadurch eher übertönt, verblasst manchmal neben den grellen Farben der heute wieder so beliebten Mustertapeten. Letzlich sind alle außer Hannah frustriert und wollen zurück, dorthin, „wo wir doch alles hatten“. Eine Parabel auch auf die geplatzten Träume der „Neudeutschen“? Zumindest eine Absage an die Utopie eines guten Lebens unter den Segnungen des scheinbar richtigen Systems. Hannah wird schließlich auf dem Rückweg an der Grenze das Auto verlassen und ihren ersten Schritt in den Schnee setzen, wie Armstrong in den Mondstaub – nur dass es für sie zurück nach Deutschland geht.
ab Sa, Zeiten s. Programm, Zeise
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